Am 24.1.1917 nachts 1/2 12 Uhr trat die Komp. den Abmarsch aus dem Rauchlager an. Es war mondhell und eisig kalt. Schlechtes Marschieren auf vereister Straße. Alle Augenblicke lag einer auf dem Boden. Bei der schweren Packung konnte er nur mit Hilfe zweier Kameraden wieder hochgebracht werden. Schneewind und Schneeflocken und dröhnende Front! So zogen wir schweigend durch die Nacht nach Spincourt, das wir um 4 Uhr früh (25.1.17) erreichten. Eine Stunde warteten wir auf den Zug, eine Stunde saßen wir im ungeheizten Wagen bis er abfuhr. Seltsam gleichgültig ließ mich das Wohin. Ich wickelte mich in Mantel und Teppich und holte den versäumten Nachtschlaf nach. Bei meinem Aufwachen hatte der Zug bei Amansweiler deutschen Boden erreicht. Der Wagen war inzwischen gut durchheizt. Die Fahrt ging über Metz nach Saarburg. In der Nähe (Rieding) wurden wir um 11 Uhr nachts verpflegt. Es war uns bekannt geworden, dass wir ins Elsaß kommen sollten. Um 4 Uhr früh (26.1.17) wurden wir in Dornach bei Mühlhausen ausgeladen. Als Quartier wurde dem II.Btl, also auch der 6.Komp. Pfastatt (ein nord-westl. Vorort von Mühlhausen) angewiesen. Schlechter waren Quartiere vorher und nachher nie vorbereitet als hier. Immer wieder erschien ein U-offz. und meldete man wolle seine Leute ausquartieren. Ich ging stets persönlich dorthin und griff nach Bedarf fein oder derb zu. Selbst dem Ortskommandanten, einem Oberleutnant, musste ich eine recht drastische Belehrung erteilen. Dann hatte ich Ruhe. Mein Quartier war nicht heizbar. Gleichwohl gab ich mich zufrieden.
Die Stadt Mühlhausen im
Oberelsaß
Die Briefzensur wurde im Elsaß streng gehandhabt, denn es gab sehr viele Französlinge. Als ich einmal in Mühlhausen war, kam ein Flieger. Einige Knaben schauten nach ihm, bis schließlich einer von ihnen in seiner alemannischen Sprache rief: "Dö'scht keiner vo üs, dö'scht a Dütscher." Das gab mir zu denken. Später hatte ich an der Ostfront eine Zeitlang einen elsäßischen Vizefeldwebel namens Hiller in der Kompagnie. Mit größter Gelassenheit konnte er sagen: "Der Krieg mag ausgehen wie er will; ich bin immer bei den Siegern". Einer solchen Bevölkerung gegenüber war größte Vorsicht sehr am Platze. Ob aber da gerade die verschärfte Briefzensur am angebrachtesten war, musste sehr bezweifelt werden. Außerdem brachte es den Offizieren viel Mehrarbeit. Die Leute durften ihre Briefe nur offen abgeben. Die Feldpost nahm nur Briefe an, die den Zensurvermerk eines Offiziers trug. Ich wusste auf diese Weise von meinen Leuten bald, wie ihre Weiber und Schätze hießen, wo eine Kuh kälberte usw. Die Briefe der Offiziere mussten den Vermerk - der dem Ehrenwort gleichkam - tragen: "Privatangelegenheit".
Vaterlandsverräter
Blumenthal (ehemal. Bürgermeister von Colmar) und Wetterlé (ehemal.
Priester und Mitglied des Reichstags)
Unsere Schulweisheit ist diesem Grenzland nicht gerecht geworden. Eine bezaubernde Schönheit hält die Sinne fortwährend gefangen. Stolz heben zahlreiche Berge ihre Häupter in die Luft, am höchsten der Sulzer Belchen (1430 m) im Süden und der Donan (1080 m) im Norden. Wie treue gewaltige Wächter stehen sie da, deren Aufgabe es ist, die geschäftigen Bewohner in den lieblichen Tälern zu schützen vor welscher Tücke. Stumm und ernst blicken die riesigen dunklen Tannenforsten drein, als verstünden sie, dass ihr Volk in Not ist. Mit den stolzen Schlössern und Burgen am steilen Hang grüßen sie den Rhein. Und zusammen mit den Bewohnern beten sie inbrünstig:
"Die Luft, die uns friedlich
umwehte, erfüllt nun des Krieges Land.
Du Gott, zu dem ich bete,
beschütz das Vaterland!
Im Glanz seiner ehrlichen Waffen
hab jetzt ich es recht erkannt.
Gott, lass mich leben und schaffen
fürs deutsche Vaterland!
Doch bricht die Wahrheit in Scherben,
hält nichts mehr der Lüge stand-
dann Herrgott - dann lass mich sterben
Vor meinem Vaterland!"
(Rich.Otto Frankfurter)
Am 31.Jan.17 sah ich mir die Stellung an. Man sagte mir, ich könne bis Schweighausen vorreiten. Das tat ich denn auch, dachte mir aber dabei: da kann es nicht gefährlich sein. Von Schweighausen hatte ich noch 20 Minuten zu gehen. Kein Schuss fiel. Dem Gegner war durch zahlreiche Blenden über die Straße das Beobachten unseres Verkehrs verwehrt. Die Stellung machte gleich einen sehr guten Eindruck. Hier hatte die 39.Inf.Div. unter meinem ehem. Korpsführer Frh. v. Watter die Franzosen aus ihrer Vorstellung geworfen und auch ihrer Hauptstellung besetzt.
Der Abschnitt, den meine Komp. zu übernehmen hatte, galt als der windigste des Regiments. So schlimm sah es nun doch nicht aus, besonders wenn man vorher bei Verdun war. Als ich meine Leute am 1.Febr.17 in die Stellung hereinführte (was am hellen Tage geschah!), waren sie sehr befriedigt. Die geräumigen Unterstände waren mit Möbeln gut eingerichtet, hatten alle einen Ofen und elektr. Licht. Mein eigner Unterstand war die reinste Luxuskabine: mit Eichenholz getäfelte Wände, sinnreiche Wandsprüche, Polstersessel, Eichentisch, Porzellanofen, verstellbare elektr. Lampe. In einem Nebenraum befindet sich das Telefon mit Bedienung. Von diesem geht ein Stollen etwa 10 m in den Berg hinein. Die rechte Hälfte meines Abschnitts lag auf der Höhe 322 (dem sog. Pfropfen) der linke Laufgraben lag unter schwachem Feuer franz. Feldgeschütze. Immer war ein Teil desselben eingeschossen.
Der linke Flügel meiner Komp. war die Dollerbrücke. Diese Brücke war im Falle eines Angriffs von der Komp. zu verteidigen. Im übrigen hieß die Aufgabe für das Rgt: "Halten und Ausbau der Stellung". Eine größere Kampfhandlung war demnach von uns aus nicht geplant. Auch der Gegner dachte wohl nicht daran, denn bis 5.Febr.17 wurde nur einmal eine feindliche Patrouille festgestellt. Wir machten in derselben Zeit überhaupt keine. Am ersten Tag hatte ich vollauf zu tun, mich in der Pfropfentellung zu orientieren. Am 2.Stellungstag war ich recht froh daran. Da kamen Major Scharwächter und der Rgts- mit dem Divisionskommandeur. Letzterer (der die Stellung schon kannte) wunderte sich, dass ich mich schon so gut auskannte. Am 3.Febr.17 kamen vom Ers.Btl die Herren Lt.d.R.Heinkele und Hptm. d.R.Leuze. Letzterer übernahm die 7. ersterer die 6.Komp. Ich kam zu einem Komp.-Führer Kurs nach Mühlhausen, hatte jedoch bis 5. zu bleiben und den neuen Herrn einzuführen. Es war für mich ein harter Schlag, worüber ich fast vergaß, dass am selben Tag mein Unterstand 2 Granattreffer erhielt.
Deutsches
Schanzwerk in den Vogesen
Die folgenden Kurstage befriedigten mich in jeder Hinsicht. Vormittags war man im Gelände. Dort wurden den einzelnen Kursteilnehmern Gefechtsaufgaben gestellt. Die Lösung derselben war meist einfach und leicht. Der Kursleiter kargte nicht mit seiner Anerkennung. Beim Mittagessen war gute und kameradschaftliche Unterhaltung geboten. Am meisten freute ich mich jedoch auf den Nachmittag. Statt Unterricht waren wir Zuschauer beim Sturmbataillon. Stramme, schneidige, ruhige Kerle, an denen sich jedes Soldatenauge freuen musste. Sie führten uns die gesamte Taktik des neuesten Schützengrabenkampfes vor : das Aufrollen eines Grabens, den Angriff über ein Trichterfeld mit vorgehaltenen Stahlschilden, das Vernebeln des fdl. Grabens, die Durchführung einer gewaltsamen Erkundung, das Beseitigen bzw. Zerstören feindl. Drahthindernisse, den Angriff auf ein fdl. Maschinengewehr und Blockhaus, den Angriff mittels Flammenwerfern und dergl. mehr. Manches war für mich neu und kam mir später bei Übung in der Komp. sehr zu statten. Aber das wichtigste: ich gewann für diese Art Grabenkampf großes Vertrauen.
Der 11.Febr.1917 war ein herrlicher Sonntag. Die Landwehr feierte den Sonntag wenn es anging. So hatten auch wir dienstfrei. Das prächtige Wetter lockte hinaus. Mit einigen Kameraden ging ich in den Zoologischen Garten. Viel Volk war dort, Zivil und Militär. Eine Kapelle konzertierte, im Saal wurde getanzt. Wer dachte da gerade an den Krieg? Und doch kam gerade jetzt eine Ordonanz auf mich zu und übergab mir einen Brief: "Ihr Kommando zum Komp.-Führer-Kurs in Mühlhausen ist aufgehoben. Sie haben zum Rgt zurückzukehren und vorübergehend die 10. Komp. zu übernehmen." Dass ich damit in das III. Btl kam, war mir sehr unangenehm. Der Führer desselben, Hptm Müller, war als leibhaftiger Satan gefürchtet.
Vom 14. bis 16.2.17 lag das Bataillon in Imlingen südwestlich von Saarburg in Bürgerquartieren. Die 10.Komp. hatte den nördlichen etwas abgesonderten Ortsteil für sich. Ich selbst bekam Quartier im Bahnwärterhaus. An unserem 1.Ruhetag machte ich mir das Vergnügen, das neue Kompagniepferd, die etwa 5 jährige russische Stute "Rosine" kennen zu lernen, die zunächst gar nicht vertrauenserweckend oder gar hübsch aussah. Sie zeigte sich aber bald als fleißiger und ausdauernder Läufer und sehr guter Springer. Ich ritt über einen Teil des Schlachtfeldes vom 20. bis 22.8.1914. Es war ein köstlicher Genuss, wie mich "Rosine" über die Schützengräben wegtrug. Aber ein recht großer Mangel haftete ihr auch an: Sie ließ sich nur auf Trense reiten und sträubte sich gegen die Kandare. Wochenlang gab ich mir unsägliche Mühe, sie an die Kandare zu gewöhnen. Wenn ich nach ausgiebigem Ritt an den Stall kam, wurde ihr die Kandare angelegt. Dann musste sie nochmal mit mir ins Gelände. Auf jeden leisen Kandarenzug reagierte sie mit einem Galopp. "Kapier oder krepier!" war mein Leitwort bei dieser Schulung. Sobald sie in "Trab" übergehen wollte, bekam sie die Kandare. Darum blieb sie denn auch andauernd im Galopp. Es war mir eine außerordentliche Genugtuung, als sie erstmals auf den Kandarenzug nicht mehr von neuem losgaloppierte. Ich hatte gewonnen. Dieser Sieg freut mich heute noch.
Ein
Bild
von mir, bereit zum Ausritt. Rechts vom Pferd mein Bursche Wolfangel
Der Marsch war wohl sehr ermüdend, doch wurde er gerne ertragen in dem Gefühl, wieder an eine ruhige Front zu kommen. In Harbouey waren wir nur noch 5 km von ihr entfernt. Wir waren im Bereich der Heeresgruppe Herzog Albrecht von Württemberg und innerhalb dieser Heeresgruppe in der Armeeabteilung A (v.Falkenhausen). Schon am anderen Tag (18.2.17) wurden wir morgens 4.45 in die Stellung vorgezogen. [...] Als wir eben Harbouey verlassen hatten, ging ein Höllenlärm an. Ein schöner Empfang! dachte ich. Und doch kam nie eine Granate in unsere Nähe. Wir konnten es kaum begreifen. Völlig unbehelligt kamen wir in die Stellung und lösten das Res.Inf.Rgt 67 ab. Damit waren wir im Haies-Wald, den wohl kein Regimentskamerad vergessen wird.
Durch Patrouillen wurde bald festgestellt, dass uns die franz. Territorial-(Landwehr)-Regimenter 52 und 56 gegenüberlagen. Unsere Stellung war völlig veraltet: enger faschinierter Graben, auf langen Strecken geradlinig geführt, viel zu schmale Schulterwehren, keine 2. Linie, keine Flankierungsanlage, kein schusssicherer Unterstand. - Freilich: hier war kein Krieg! Wo im Jahre 1914 die deutsche Offensive zum Stehen kam, entstand ein Graben und vor demselben ein 40-50 m breites, gutes Drahthindernis. Davor lag die Vorpostenlinie (nur bei Nacht besetzt), durch ein zweites, etwas geringeres Drahthindernis gesichert. Weder Freund noch Feind hat eine Änderung an der Stellung vorgenommen. Unsererseits war diese Stellung dazu benützt, abgekämpfte Truppen Erholung zu gewähren. Und solche fand man im Haieswald. Trotzdem schon 2 1/2 Jahre Krieg war, sah man im Wald kaum einen zusammengeschossenen Baum. Ein Granattrichter war das reinste Vexierbild. Das breite, stark beholzte Zwischenfeld reizte unwillkürlich zu Patrouillengängen.
Typische
Frontverlaufskizze für die führenden Offiziere mit eigenen Frontgräben
(blau) und feindlichen Schützengräben (rot)
Unsere Leute benützten keine Graben. Alles lief frei herum. Löhnugsapell wurde gleich hinter dem Schützengraben abgehalten. Kurz gesagt: man war hier in Stellung sicherer als anderswo in Ruhe. Das Rgt hatte auch - sehr kuriose Erscheinung! - keinen Gefechtsauftrag. "Ausbau der Stellung" war seine Aufgabe. Man freute sich einer solchen Zeit und doch fühlte man eine innere Scham in sich über eine so geringe Verwendung in großer Zeit. Aber schließlich war ja der Krieg noch lange nicht aus. Jeden Tag konnte man hier abberufen werden, denn nach Ablehnung unseres Friedensangebots konnte das Jahr 1917 als Jahr der Entscheidung vorausgeschaut werden.
Als das Wetter sich verschlechterte, habe ich viel gelesen und sehr viel Karten gespielt. Dann wurde aber auch die Kriegslage wieder eingehend studiert: Im Westen schien man sich auf tatkraftige Verteidigung einzurichten. Demgemäß führte die O.H.L. vom 4.2.17 ab einen großen strategischen Rückzug durch. Das zerwühlte Kampfgelände an der Somme (zwischen Arras und Soissons) wurde dem Gegner überlassen und die Siegfriedstellung bezogen. 65 000 Armierungssoldaten hatten 4 Monate daran gebaut. 1250 Eisenbahnzüge zu je 40 Wagen brachten das Material dazu aus Deutschland. 450 Schiffe in den Kanälen brachten 5 000 Ztr. Zement und Kies. 50 km Front wurden eingespart. Am 16.2.17 ist diese sogenannte Alberichbewegung beendet. Eine Neueinteilung der Heeresverbände fand statt.
Man hatte unbedingt die Meinung: die OHL verschwendet nicht wie im Jahre 1916 zu Anfang des neuen Kriegsjahres viele Kräfte durch eine Offensive, die zu einer weiteren Zermürbungsschlacht werden könnte. Mehr als je vorher musste sie auf Schonung ihrer Menschenreserven bedacht sein. Außerdem schien im Osten die große Entscheidung heranzureifen. Das erste deutliche Anzeichen dafür war die Abdankung des Zaren von Rußland, die uns am 16.3.17 bekannt wurde (und die natürlich im Kasino gebührend gewürdigt wurde). [...] Von den großen Sorgen unserer O.H.L. hatten wir keine Ahnung. [...] Am 2.April 1917 besuchte unser geliebter König zum erstenmal das Rgt. Da das III.Btl gerade in Ruhe lag, beteiligte es sich geschlossen daran; die übrigen Btlne schickten Abordnungen. Im. Schloßhof in Cirey hatten wir Aufstellung genommen. Dass ich meinem König eine Kompagnie vorführen durfte, darüber war meine Freude und mein Stolz nicht gering.
Die zweite Stellungsperiode 4.4. bis 14.5.1917: Schon um 2 Uhr früh marschierten wir ab. Diesmal sollte unbedingt ein 1 Franzose gefangen werden, sonst wäre unser Hptm völlig ungenießbar. Darum legte ich mich am 5.4. mit 1 Uffz. und 4 Mann vor dem fdl. Drahthindernis auf Lauer. Keine Gasse im Hindernis und keinen Franzmann konnten wir entdecken. .Nach 1 1/2 Std. zogen wir uns zurück. Bald darauf funkte der Gegner mit Artl. Am 24.4.17 sah ich 6 Franzosen bei der Arbeit; aber es war ihnen nicht beizukommen. Am 12.4. entdeckten wir eine fdl. Patrouille, aber ihre Vorsicht war größer als unsere Flinkheit. [...] Einmal stand ich am Rand des Haieswaldes und beobachtete die feindl. Stellung bei Neuviller und den fdl. Fesselballon. Da nahte sich mir der Kommandeur des L.I.Rgt 121, Oberstlt. Frh.v.Varnbüler. Er sagte: Ihr Sturmregiment wird wohl auch bald an die Aisne kommen. Diese Bemerkung schien mir das umlaufende Gerücht unseres Wegkommens bestätigen zu wollen.
Wohl hatte uns Amerika am 5.4.1917 den Krieg erklärt, doch glaubte man, dass unsere U- Bootsperre ausreiche, keinen einzigen Schiffstransport durchzulassen. Am 9.Mai 17 kam unser II.Btl nach Dolvingen bei Saarburg. Kurz vorher wurden wir gegen Cholera geimpft. Dabei wurden wir über Verhalten bei Sumpffieber belehrt. Es konnte also kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass wir nach Rußland kamen. Am 13.5.17 erhielt ich vom Btl den Auftrag mit einem Vorkommando nach Rußland zu reisen und für das Btl Quartier zu machen.
Deutsches U-Boot
Wir nahmen endgültig Abschied von der Westfront. Wir waren bestimmt, den letzten Schlag gegen Rußland zu führen. Das es zusammenbrechen musste, war uns klar. Der Anfang unseres Sieges war damit gemacht. In diesem Gefühl traten wir am 16.5.1917 die Reise nach Rußland von Berthelmingen aus an. [...] Wenn es auch nicht ganz heldisch gedacht ist, so ist es doch verständlich, dass wir nach 3 schweren Kriegsjahren im Westen gerne ostwärts steuerten. Zudem war es Frühling, war es Mai, die rechte Zeit zum Wandern. Und quer durch ganz Deutschland: "Von der Maas bis an die Memel!!" Alles drängte an das Fenster, die herrlichen Bilder der abwechslungsreichen deutschen Landschaften in sich einzusaugen! Unser geliebtes Schwabenland durchfuhren wir leider nur an seinem nördlichsten Zipfel und bei Nacht. Erhebend war die Fahrt durch Bayern. Überall begeistertes Winken, beinahe wie 1914. Das Auge weidete sich an dem überwältigenden Bild des fränkischen Jura und des Fichtelgebirges. In Hof labte uns der letzte "bayrische Schluck". In Sachsen enthüllten die nördlichen Ausläufer des Erzgebirges ihre Schönheit. Man vergaß zeitweise, Soldat zu sein. Nach Kottbus in der Lausitz wechselte das Schaubild. Es wurde mehr und mehr eintönig. Das Schwabenauge konnte es fast nicht ertragen. Moore und Sümpfe blicken im Abenddämmerlicht, die Konturen der Kiefernwälder schmückt goldener Saum. So hat auch diese Landschaft ihre kurze Schönheit. Kommt dann der Tag, so ist die langweilige Öde wieder da. Aber doch zeigt der ganze Landstrich, der von der Natur stiefmütterlich behandelt wurde, deutschen Fleiß, deutsche Ordnung, deutsche Kultur. Nur ein bescheidener Fluß, die Prosna, trennt zwei Länder und auch zwei Kulturen. Die Landschaft in Polen ist derjenigen von Schlesien von Natur aus gleich. Aber alles was das Auge erblickt: Wege, und Stege, Fluren und Forsten, Dörfer und Menschen, alles trägt das Merkmal unverantwortlicher Vernachlässigkeit an sich, an der der Krieg nur sehr geringe Schuld trägt.
Geschützdonner verriet die Nähe der Front. Die ersten Österreicher kamen uns zu Gesicht. Plötzlich fuhr unser Zug rückwärts und drehte dann scharf nach Süden ab, Galizien zu. Die wolhynische Landschaft wird im Süden wieder interessanter. Von Wladimir-Wolynsk drehen wir aber wieder scharf nach Osten ab. Damit wurde uns klar, dass wir an die Pripjetsümpfe (auch Rokitnosümpfe) kamen, an den Stochod, wo die Brussilow-Offensive abgefangen wurde. Viel hatten wir von den Stochod-Kämpfen aus den Heeresberichten gehört. Es war uns eine Genugtuung, wenigstens an einen wichtigeren Abschnitt (im Osten!) zu kommen. In Rogozno wurden wir in bitter kalter Nacht ausgeladen. In über 100 stündiger Fahrt legten wir rund 2 000 km zurück.
Polnische
Bevölkerung
Erstürmter,
mit Sandsäcken befestigter russischer Schützengraben
[Anmerkung: Das letzte Drittel dieses Tagebuchs und der Anfang des fünften Bandes umfasst detaillierte Erklärungen und Skizzen zum Verlauf des Krieges an der Ostfront zwischen 1914 und 1917 (bis zu dem Tag wo Gottfried Rinker die Front bei Twerdyn erreicht). Sie wurden nicht in die Leseprobe übernommen, da sie im Ganzen zu lang und im Gekürzten unsinnig waren. Sie werden aber vermutlich für interessierte Leser den Weg ins Buch finden.)