Aufklärende Artillerie

Die Beobachtungs-Abteilung 36 gehört zur sogenannten "aufklärenden Artillerie". Diese wird zur Ortung von versteckt aufgestellten feindlichen Geschützen eingesetzt und teilweise auch zum Einschießen der eigenen Artillerie. Dazu wird das Lichtmess- und Schallmessverfahren angewendet. Beim Lichtmessverfahren wird die Lage der feindlichen Geschütze durch Winkelmessung von mehreren Beobachtungspositionen aus ermittelt. Gemessen werden dabei die optischen Erscheinungen wie Mündungsblitze oder Mündungsrauch. Gleichermaßen wird so die eigene Artillerie durch Beobachtung von Aufschlags- und Sprengpunkten auf ihre gewünschten Ziele eingemessen. Beim Schallmessverfahren werden mehrere, seitlich versetzte und in die Tiefe gestaffelte Messstationen verwendet, die ihre Zeitdifferenz bei der Schallwahrnehmung der Abschussgeräusche mathematisch verrechnen. Dadurch kann eine Position der feindlichen Geschütze ermittelt werden.

Zu Beginn des Krieges 1939 waren die "Beobachtungabteilungen (motorisiert)" gegliedert in:

Abteilungsstab mit Kommandeur und Offizieren des Stabes
Stabsbatterie bestehend aus Nachrichtenzug, Wetterzug, Druckereizug, Kfz-Staffel und Verpflegungstroß
1. Vermessungs-Batterie zur Überprüfung und Vermessung von Festpunkten, Auswertung der Beobachtungsergebnisse der 2. bis 4. Batterie
2. Schallmess-Batterie zur Ortung feindlicher Geschütze im Schallmessverfahren
3. Lichtmess-Batterie zur Ortung feindlicher Artillerie und zum Einschießen eigener Geschütze im Lichtmessverfahren
4. Ballon-Batterie (nur bei einem Teil der Abteilungen) ausgerüstet mit Fesselballons und leichtem Flak-Zug

Ab 1942 wurde diese Gliederung allerdings abgewandelt in eine "leichte Beobachtungsabteilung (motorisiert)" mit:

Abteilungstab mit Kommandeur und Offizieren des Stabes
Stabsbatterie mit Stabspersonal, sowie Auswertestellen
1. Schallmess-Batterie
2. Lichtmess-Batterie

Artillerie HGM Wien 25 pounder WWII

Beobachtungs-Abteilung 36

Die Beobachtungs-Abteilung 36 wird während der Mobilmachung am 25.August 1939 in der General-Feldzeugmeister-Kaserne in Mainz (Wehrkreis XII) aufgestellt und ist zuerst der 36. Infanterie-Division unterstellt. Am 27.August 1939 ist die Aufstellung der Abteilung bereits abgeschlossen und sie umfasst insgesamt ca. 650 Soldaten - die Mehrzahl davon aus dem Raum Mainz, Mannheim und Saarbrücken. Am nächsten Tag erfolgt bereits die Verlegung der Abteilung an ihren ersten Einsatzort im Raum Zweibrücken. Ersatztruppenteil für die B36 ist zuerst die Ersatz-Beobachtungs-Abteilung (E.Bb.) 6 in Lemgo, später dann die E.Bb. 5 in Ulm (Wehrkreis V) und die E.Bb. 44 in Olmütz. Erster Abteilungskommandeur ist Major Kappesser, der zuvor Chef der 1./Bb.34 war.

Die Feldpostnummer der Einheiten:

Stab und Stabsbatterie - 28057
1.Vermessungs-Batterie - 25250
2.Schallmess-Batterie - 04858
3.Lichtmess-Batterie - 25395

Vom 1.9.39 bis Ende Mai 1940 liegt die Abteilung am Westwall im Raum Zweibrücken zur Verdichtung des Festpunktnetztes und zur Vermessung der Artilleriestellungen im Abschnitt der 36. ID. Die B36 beginnt ihre Aufklärungstätigkeit und es kommt zur gelegentlichen Bekämpfung von Feindbatterien. Im Dezember 1939 wird die Abteilung aber "Heerestruppe" und löst sich damit aus der festen Divisionszuteilung. Sie wird jetzt je nach Lage und Bedarf von der Armee eingesetzt.

Die Abteilung bezieht daraufhin im Landmarsch Stellung in der Nähe von Freiburg i. Breisgau. Entlang des Ober-Rheins bis zum Kaiserstuhl wird ein Schallmess- und Lichtmess-System eingerichtet. Am 15.6.40 feuern deutsche Geschütze auf die entdeckten Feindbatterien im gegenüberliegenden elsässischen Rheinabschnitt und deutsche Sturmboote setzen über den Rhein über. Auch die B36 überquert zwei Tage später den Rhein und erreicht am 18.6.40 Kolmar. Über das Münstertal geht es weiter durch die bewaldeten Täler der Vogesen und es folgen einige ruhige Wochen als Besatzungstruppe in Frankreich im Raum St.Florentin. 

Die befohlene Verlegung der Abteilung nach Paris wird freudig aufgenommen und am 23.8.40 rückt die B36 im Verband der aktiven 36.ID in die französische Hauptstadt ein. Zu den Hauptaufgaben gehören nun der Wachdienst an militärischen Dienststellen und Gebäuden sowie motorisierter Streifendienst. Die Vermessungsbatterie muß kurzzeitig zu einem Sondereinsatz abrücken, aber der Rest der Abteilung verweilt bis 22.4.41 in Paris und wird daraufhin mit unbekanntem Ziel verladen. 

Die Fahrt geht an die Ostfront und die B36 wird am 26.4.41 in Wreschen in der Nähe von Posen ausgeladen. Hier wird die Abteilung durch Einzelausbildung, Gefechtsübungen und Fahrzeugkontrollen in einsatzmäßige Gefechtsverfassung gebracht. Am 23.5.41 erfolgt der Aufbruch Richtung Osten im anstrengenden Landmarsch. Nach der Überquerung der Weichsel nimmt die Abteilung ihre Vermessungstätigkeit entlang des Flusses Bug auf (ca. 30 km nordwestlich von Brest-Litowsk). Hier werden auch die Einsatzvorbereitungen für den Russlandfeldzug getroffen.

Am 22.6.41 leitet ein halbstündiges Artilleriefeuer den Feldzugsbeginn ein. Die B36 überquert im Verband der 124.ID bei Mielnik den Bug und trifft nur auf schwache russische Gegenwehr. Die erfolgreiche Einkesselung russischer Truppen bei Bialystock-Slonim führt vom 27.-30.6.41 in eine schwere Krise für vorgedrungene Teile der 124.ID - darunter auch die B36. Sie muß sich daraufhin nach Osten Richtung Lyskowo absetzen und erfährt ihre ersten Verluste im Russlandfeldzug. Beim erneuten Vormarsch bereitet die Einnahme von Mogilew Schwierigkeiten und die Einheit wird nach Süden abgedreht um dort den Dnjepr zu überschreiten. Hier begleitet die B36 die deutschen Angriffe auf dem ostwärtigen Dnjepr-Ufer nach Süden in Richtung Nowy-Bychow. Nach stärkeren Gefechten mit den Russen überquert die Abteilung am 24.7.41 nördlich Mogilew erneut den Dnjepr und verzeichnet im stark verminten Vorgelände große Ausfälle an Verwundeten und Fahrzeugen. Am 26.7.41 fällt Mogilew und die B36 marschiert im Verband der Panzergruppe "Guderian" weiter ostwärts bis Roslawl. Dort tätigt die Abteilung bis 8.8.41 erfolgreich ihre artilleristische Aufklärung im Rahmen eines deutschen Artillerie-Großeinsatzes unter General d.A. Martinek für die Angriffsvorbereitungen zum Stoß über die Desna.

Die B36 wird daraufhin der 23.ID zugeteilt, die südlich von Jelnja die Gegenangriffe der russischen T34 Panzer abwehrt. Nach erfolgreicher Abwehr der Russen am Jelnja-Bogen geht der deutsche Vormarsch am 2.10.41 weiter voran über die Desna. Die Abteilung befindet sich nun auf der Rollbahn Roslawl-Juchnow Richtung Nordost weit voraus der deutschen Vorhut und erntet für ein kühnes Stosstrupp-Unternehmen bei Pawlinowa am 5.10.41 Anerkennung und Auszeichnungen. Der russische Winter setzt ein und die B36 liegt bei Wjasma in Stellung und hilft bis zum 16.10.41 bei der Säuberung des Gebiets und dem Transport der russischen Gefangenen. Der schlammige Boden verhindert einen zügigen Vormarsch und so schleicht die Abteilung auf der Rollbahn Smolensk-Moskau Anfang November weiter ostwärts. Über Gshatsk, Borodino und Moshaisk bricht die B36 vom 17.-26.10.41 durch die "Moskauer Schutzstellung".  Am 19.10.41 übernimmt Hauptmann Voigt die Abteilung als neuer Kommandeur. Bei winterlichen -20°C bereitet man sich auf den Stoss auf Moskau vor. Die B36 ist Mitte November im Raum von Rusa bei Lyskowa im Abschnitt des XXIV.AK bei der 4.Panzerarmee mit Licht- und Schallmessarbeiten tätig. Am 18.11.41 beginnt der Großangriff auf Moskau und die B36 begegnet verstärkt feindlichen Einheiten und wird in Istra schwer bombardiert. Etwa 22 km westlich von Moskau sind Licht- und Schallbatterien bei Lenino und Iwanowskoje eingesetzt und die Abteilung hat zunehmend Verluste an Soldaten und Gerät. Am 7.12.41 kommt der Befehl zur Rücknahme der deutschen Front hinter die Moskwa.

Die Winterstellung wetslich der Moskwa kann aber nur kurze Zeit gehalten werden und am 14.12.41 werden übereilt Abmarschbefehle für einen allgemeinen Rückzug der Truppen erteilt. Die unzureichende Winterausrüstung der Einheit führt zu erheblichen Ausfällen, dennoch verbringt die B36 ca. 10 km nördlich von Rusa relativ ruhige Weihnachtstage und wird anschließend nach Dorogobush in Winterquartiere zurückgezogen. Die Einheit liegt nun verteilt auf die Dörfer Drosdowa, Saew-Lenkino und Pessotschnja. Die russische Gegenoffensive Mitte Januar 1942 führt zu zahlreichen Kämpfen mit Partisanen und Fallschirmspringern. Am 2.2.42 gerät die benachbarte B19 in starke Gefechte und Teile der B36 werden zur Entlastung und Abwehr abkommandiert. Der Feind kann vertrieben werden, aber auch die B36 wird in ihrem Winterquartier angegriffen und am 9.2.41 greifen russische Einheiten westlich Pessotschnja die Unterkünfte der 3.Batterie an. Die eintreffende deutsche Haubitzenbatterie mit dem Jagdkommando V ermöglicht eine Abwehr des Feindes trotz hoher Verluste. Bis Anfang März ist der rückwärtige Raum der Heeresgruppe "Mitte" gefestigt und die Schallmessbatterie betreibt im Raum Gshatsk Aufklärung der feindlichen Batterien. Die Lichtmessbatterie ist entlang der Rollbahn Smolensk-Wjasma bei Ssemlewo tätig.

Mitte April wird die Abteilung im rückwärtigen Gebiet personell und materiell bei Schklow aufgefrischt und ihre Bezeichnung ändert sich in "leichte Beobachtungs-Abteilung 36 (motorisiert)", was zu den oben genannten Umstrukturierungen der Batterien führt. Es gibt gelegentliches Geplänkel mit Partisanen und am 7.6.42 übernimmt Major Kleine die Abteilung als neuer Kommandeur. 

Am 27.6.42 marschiert die B36 im Landmarsch von Schklow über Orel bis Kursk und ist nun der Heeresgruppe Süd / PzAOK 4 unterstellt. Am 6.7.42 ist die Abteilung ca. 30 km vor Woronesh im Einsatz und wird durch Nachschubprobleme zu einem längeren Stopp gezwungen.  Erst Mitte Juli wird die B36 dem AOK 6 zugeteilt und setzt den Vormarsch über Krassoje bis nach Bokowskaja fort, wo sie den Tschir erreicht. Dort hilft sie ab 7.8.42 bei der Einkesselung russicher Truppen im Raum zwischen Tschir und Don. Mitte August werden auf den Don-Höhen nordwestlich Kalatsch Schall- und Lichtmesssysteme eingerichtet und die Aufklärung Richtung Stalingrad beginnt.

Am 25.8.42 setzen Teile der 3.Batterie gemeinsam mit den Angriffsspitzen der 76. ID über den Don über und dringen in den ersten Septemberwochen Richtung Stalingrad vor. Stärkere Angriffe der Russen können abgewehrt werden und die B36 erhält für die ausgezeichnete Aufklärungstätigkeit Lob von höchster Stelle. Dennoch herrscht Munitionsmangel und nach Ablösung der 76.ID durch die 113.ID graben sich die deutschen Truppen Anfang Oktober ein. Die B36 errichtet ein festes Schall- und Lichtmesssystem während einige Teile von Stalingrad bereits erobert werden.

Starke russische Kräfte durchbrechen am 19.11.42 die Stellung der schwachen 3. rumänischen Armee westlich von Stalingrad und vereinigen sich wenig später mit anderen russischen Verbänden, die südlich Stalingrad nach Nordwesten vorstossen. Ab dem 21.11.42 ist die deutsche 6.Armee vollständig eingeschlossen und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Bereits einige Tage später muß die Abteilung ihre gut ausgebauten Unterkünfte und Messsysteme im Stich lassen und sich nach Osten zurückziehen. Versorgung und Verwundetentransport erfolgt nur noch durch die Luft und es folgen Rationskürzungen, die bei Schnee und Kälte die Truppen seelisch und körperlich besonders belasten. Mit 100g Brot als Tagesration bricht das traurige Weihnachtsfest 1942 an und die eingeschlossenen Verbände erfahren, dass es keinen Entsatz geben wird.

Ab dem 1.1.43 stellt die B36 ihre Tätigkeit als Beobachtungsabteilung ein und die Soldaten werden nach kurzer infanteristischer Ausbildung verschiedenenen anderen kämpfenden Verbänden der 44. ID im Kessel von Stalingrad zugeteilt. Die B36 existiert ab diesem Moment faktisch nicht mehr und die deutschen Truppen werden durch Hunger, Kälte und schwere Kämpfe stark dezimiert. In den letzten Tagen von Stalingrad werden noch 36 Verwundete der B36 ausgeflogen und eine kleine 40 Mann starke Gruppe - darunter Hauptmann Bundschuh (Chef. der 1.Batterie) -  erreicht am 19.1.43 erschöpft und abgekämpft das "Traktorenwerk" an der Nordostecke von Stalingrad. Nach der Kapitulation von Stalingrad-Mitte am 31.1. wartet man nun auch im Norden auf das bittere Ende. Am 2.2.43 ziehen die letzten Überlebenden der B36 mit den Resten der 6.Armee in russische Gefangenschaft. Die Beobachtungs-Abteilung 36 wird im Januar 1943 als "in Stalingrad vernichtet" eingetragen. Nur wenigen Angehörigen der Abteilung ist es vergönnt lebend in die Heimat zurückzukehren. Viele Schicksale sind bis heute ungeklärt.

Eines davon ist Kuno Rinker....

Die Informationen zur B36 stammen aus dem Buch "Beobachtungs-Abteilung 36" von Herbert Melies, im Eigenverlag erscheinen in Mainz 1970, einsehbar in Potsdam im Militärgeschichtlichen Forschungsamt, in der Stadtibliothek Mainz und im Artilleriearchiv Idar-Oberstein.