Im Osten, 04.09.42
Mein lieber Papa!
Seit 5 Tagen stehen wir wieder im
Einsatz. Toll möchte ich ihn nennen. Allmählich lerne ich den Krieg in
seiner härtesten Weise kennen. Letzten Endes reift aber auch hier eine
Entscheidung heran, die bestimmt für diesen Feldzug von größter
Wichtigkeit ist. Ist nämlich Stalingrad gefallen, und das wird bald der
Fall sein, dann kann der Russe sein Testament machen; so meinen wir es.
–N - Glaube mir, einen solchen Aufmarsch habe ich noch nie gesehen.
Rechts und links der Straßen steht Fahrzeug an Fahrzeug, Geschütze,
Panzer, usw. Alles ist da. Das solltest Du sehen.
[Anmerkung: Die
Anfangsbuchstaben ergeben den Ort: Stalingrad]
Während ich hier diese Zeilen schreibe, heulen über mich die
feindlichen Granaten und bersten die Einschläge aller Kaliber in
unserer Umgebung. Ich habe mir einen Graben ausgehoben. Hier schlafe
ich und halte mich dauernd darin auf, wenn ich nicht gerade Dienst
habe. Wir liegen in einer Schlucht, der einzigen in weitem Umkreise,
und auf die haben es die Russen besonders abgesehen. Nachts beschießen
sie uns mit Do-Geräten, den sogenannten Stalinorgeln. Dies ist das
Furchtbarste, was man sich vorstellen kann. Es sind dies raketenartige
Geschosse. Hinten haben sie Flügel wie die Bomben. Eine Salve besteht
aus 25 bis 30 Stück. Wie heulende Sirenen hört sich das an, wenn so
eine Lage anbraust. Alle 30 Schuss krepieren nun auf einem Gebiete von
vielleicht 100 m2. Wie dichte Schwärme sausen die Splitter in der
Gegend herum und alles was so einen Meter und noch mehr über der Erde
ist, bekommt eins ab: denn der Zweck dieser Dinger ist ja nur die große
Splitterwirkung. Unsere Do-Geräte übertreffen die russischen noch bei
weitem.
In diesem Einsatz habe ich den Mut unserer beiden
Auswerte-Offiziere kennengelernt. Gestern nacht schossen sie wieder,
die Orgeln im Abstand von 45 Minuten. Ich hatte gerade
Fernsprechdienst. Noch im Wagen war ein Offizier und unser
Unteroffizier. Da heulte die erste Lage an. Der Leutnant hetzte in den
Splittergraben. Ich konnte und durfte nicht vom Apparat weg, denn wir
wollten die Do’s aufklären und gleich bekämpfen, und da kommt es auf
Sekunden an, denn die fahren auf, schießen, und hauen wieder ab. Wir
bekamen sie gut, der Unteroffizier gab der Ari das Kommando, und als
die ersten Schüsse abgefeuert waren, kam unser Leutnant wieder zu uns,
ganz weiß im Gesicht und zitternd wie Espenlaub. Nach einer Weile sagte
er, er müsse zum Sch…; ging und kam nicht mehr. Nach der zweiten Lage
übergab er das ganze Aufklären und Bekämpfen unserem Unteroffizier;
setzte den Stahlhelm auf und legte sich in den Splittergraben. Wir
beide machten nun den ganzen Laden allein bei noch zwei weiteren
Überfällen. Und wenn dann für diesen Einsatz die EKs ausgeteilt werden,
so ist er der Erste, der’s bekommt, denn er hat noch keins. Und die,
die im schärfsten Granat- und Do-Splitterregen ihre Pflicht erfüllen,
die können in den Mond schauen.
Anderntags muss man sich dann von
solchen Herren noch vorhalten und verseckeln lassen, man habe dies und
das nicht recht gemacht. Lieber Vater, dies muss ich Dir nun doch
einmal schreiben, denn so ist es bei jedem Einsatz. Weißt, und mit den
Auszeichnungen ist es so: da sind noch Offiziere und Unteroffiziere,
die haben noch nichts. Ebenfalls alte Obergefreite, und Gefreite, alte
Batterieangehörige. Bei jedem Einsatz werden EKs angefordert. Nun
kommen erst diese, denn ein junges Mitglied kaum und verdient doch kein
EK. So ist’s bei uns. Nun kannst Du Dir auch vorstellen, was derjenige
für mich bedeutet, der das EK bei uns trägt. Ein Infanterist, der nur
das Infanteristenabzeichen trägt, ist mir tausendmal mehr wert als
einer der bei uns das EK hat. Des weiteren solltest Du einmal bei einem
Soldaten, der den ganzen Winter im Einsatz war, das schwarzweiße Band
auf rotem Grunde sehen, das wie das Band zum EK im Knopfloche getragen
wird, dann denke an mich, dass ich Dir geschrieben habe, dass dies für
mich und uns viel mehr bedeutet als EK 1 und 2. Glaube es mir. Ich sage
es deshalb, weil ich weiß, was man bei uns sein und leisten muss, um
dazu zu kommen.
Dann noch eins. Kannst Du Dich an den Wehrmachtsbericht vor 10 bis 14
Tagen erinnern, in dem es hieß: bei Kalatsch wurde nach Niederkämpfung
der feindlichen Ari der Übergang über den Don erzwungen. Das war unsere
Batterie, die die Ari zerschlug. Ich war dabei, ich habe daran
mitgearbeitet. Kannst Dir denken, wie stolz wir waren als wir das
hörten.
Unser Kraftfahrer Ernst Sergbold aus Neenstetten wurde leider bei einem
Do-Überfall verwundet.
Heute sind wieder Marketenderwaren gekommen. Morgen werden sie
verteilt. Da gibt’s wenigstens wieder was zu rauchen. Du weißt ja wie
gut so eine Zigarette ist. Immer wenn es zu toll wird stecken wir uns
eine an. Da gibt jeder, der noch hat, dem andern. Da ist die
Kameradschaft am Größten und Schönsten. Lieber Vater! Der Hauptzweck
meines heutigen Schreibens ist Dein Geburtstag. Ich wünsche Dir alles,
alles Gute, noch viele schöne Stunden und Tage und hoffe, dass ich Dich
bald wieder sehen kann, denn ich muss und weiß Dir vieles zu erzählen.
Wie gerne möchte ich ihn mit Dir zusammen bei einem saftigen Schlucke
trinken. Leider mußt Du es alleine machen. Tue es aber ausgiebig. Ich
schicke Dir 20 RM. Davon kaufst Du Dir den besten Likör, Schnaps oder
Sekt, den Du daheim auftreiben kannst. Also nochmals alles Gute.
Ich möchte nun für heute schließen
und grüße Dich aufs Herzlichste
Dein Kuno
den 22.09.42
Meine Lieben!
Heute möchte ich Euch auch wieder
mal schreiben. Ich sitze in meinem Bunker, den ich in mühsamer Arbeit
mit noch einem Kameraden in den letzten drei Tagen ausgebuddelt habe.
Die Erde ist so hart, dass cm um cm abgepickelt werden muss. Wir haben
ihn hauptsächlich deswegen gebaut, dass wir nachts warm schlafen
können, denn wirklich ist es sehr kühl. Ein kleines Tischchen dient zum
Schreiben. Durch eine „Geheimleitung“, die zum Wagen führt, haben wir
auch Licht.
Die neueste Nachricht von Euch ist der Luftpostbrief vom 25.08. Dann
erhielt ich vor drei Tagen mehrere Päckchen mit Backwerk und den ganz
herrlichen Marzipankügelchen. Das Mückennetz war auch dabei. Es kam
leider sehr spät, denn Ihr habe es schon am 16.07. abgeschickt. Habt
Ihr eigentlich die Bilder schon erhalten, die ich während unserer
Auffrischungszeit abgeschickt habe? Dann die Gedichte und
Zeitungsausschnitte von damals? Uns fehlt nämlich noch Post vom Juni
und anfangs Juli. So rund weitere 70 Bilder habe ich bestellt. Die
bringe ich dann im Urlaub mit. Jeden Monat fahren ja welche, so dass
die Alten jetzt beinahe durch sind. Ich hoffe so auf Weihnachten oder
Januar. Da habt Ihr ganz richtig erraten, damals am 23. August beim
Don-Übergang waren wir dabei.
Nun sitzen wir schon ein paar Wochen am selben Fleck. Tagsüber sehen
wir die mächtige Rauchsäule und nachts den großen Brand der in besagter
Stadt wütet. Der Russe versucht unter Aufbietung aller Kräfte, Ari, Dos
(Stalinorgeln) Flieger und unter ständigem Angreifen mit Panzern und
Infanterie unsere Front zu durchstoßen. Immer scheitert er. Gerade in
dem Streifen, wo wir eingesetzt sind, versucht er’s am stärksten.
Neulich wurden ja auch laut Wehrmachtsbericht 120 seiner Panzer
abgeschossen. Die Luftwaffe unterstützt uns dabei in ganz
hervorragender Weise. Ihr solltet einmal sehen, wenn Stukawelle auf
Stukawelle anfliegt, gleich 50 Stück auf einmal, dann Zerstörerverbände
und Schlachtfliegerstaffeln in ununterbrochenem abwechselnden Einsatz.
Ich möchte da kein Russe sein. Ihr denkt vielleicht, dass der Russe in
seiner Stärke unterstützt wurde, denn er greift ja nach und nach mit
Unmengen von Menschen und Material an. Da sagen wir nur eins; das ist
das letzte Aufbäumen eines Todwunden. Gleichzeitig dürft Ihr aber auch
nicht vergessen, was unsere Infanteristen leisten. Es grenzt ans
Unmögliche. So nun aber genug von dem Kriegskram. Das Essen ist ganz
ordentlich. Auch sonst geht es mir immer gut. Es ist eben Krieg. In 4
Wochen bin ich schon ein ganzes Jahr in Russland. Hoffentlich mache ich
das zweite hier nicht mehr voll.
Wenn Ihr Kerzen habt, könnt Ihr mir auch welche schicken, denn jetzt in
den Bunkern kann man Licht sehr nötig brauchen. Dann sind wir ja
wahrscheinlich auch diesen Winter hier. Sonst weiß ich eigentlich
nichts viel neues mehr.
Seid nun für heute rech herzlich
gegrüßt von
Eurem Kuno
Schade, dass ich morgen nicht unter Euch weilen kann. Aber dafür gibt’s
Post! Eine Päckchenmarke liegt auch bei.
Den 10.10.42
Meine Lieben!
Recht herzlichen Dank für die
lieben Päckchen. Ich habe sie vorgestern erhalten. Es waren drei mit
Pudding und eins von Gisela mit den Schlehen. Gestern habe ich mir nun
mit dem Griesmehl und 2 Päckchen Puddingpulver einen Griespudding
gemacht. Es gibt hier leider nirgends Milch. Lediglich Wasser. So mache
ich eben Wasser dazu. Trotzdem wurde er ganz prima. Es haben sich
insgesamt 4 Mann daran sattgegessen. Leider kann ich wirklich kaum was
essen, denn ich habe zur Zeit sehr Durchfall. Liederlich ist es mir
dabei zumute. Unser Essen ist aber dabei so gut wie noch nie. Nun, auch
das geht vorüber. Gut wäre es allerdings, wenn ich es nicht jetzt
während des Einsatzes hätte. – Neulich hatten wir Gelegenheit, die
Führerrede und die Rede Görings zu hören. Wir haben doch einen
Wehrmachtsempfänger bei uns. So hören wir täglich mit großer Spannung
den Wehrmachtsbericht. Tatsächlich kommen die Ereignisse in unserem
Abschnitt fast jeden Tag. Aller Augen sind ja auf Stalingrad gerichtet.
Lieber lassen die sich zu Tode fahren oder schießen, als dass sie nur
einen Schritt zurückweichen. Jedes Haus ist ja dort eine kleine
Festung, wie Ihr ja bestimmt schon gelesen habt. Nun wird ja nur noch
im Norden der Stadt gekämpft, während es im Südviertel schon eine
Ortskommandantur gibt. Gelt, da staunt Ihr. Recht vieles könnte ich
Euch darüber und über manches andere noch schreiben. Aber ich darf doch
nicht. Deshalb Schluss!!
[Anmerkung: Die Anfangsbuchstaben
ergeben den Ort: Riegelstellung NW
Stalingrad]
Über 4 Wochen sind wir nun schon hier an dieser Stelle im Einsatz. In
den letzten beiden Wochen ist es Gott sei Dank ruhiger geworden. Der
Russe schießt nicht mehr viel. Wir glauben, dass er nichts mehr hat. So
sagen ja auch Gefangene aus. Es ist nämlich so: hat er Munition, so
schießt er mit allen verfügbaren Rohren bis nichts mehr da ist. Kam
gerade eine Sendung Bomben, so haben wir nachts Fliegerbesuch. So
richtig ungestüm, so immer drauf los wenn was da ist, um dann wieder
tagelang zu schweigen. Bei Nacht schießt er nur noch ganz ganz selten,
und wenn, dann hauen wir ihm den Laden voll.
Unsere großen Hoffnungen, im Winter diesmal rauszukommen, sind dahin.
In den nächsten Tagen bauen wir uns für den Winter unsere Bunker und
Stellungen. Ein guter Tropfen ist aber doch dabei; mein Urlaub. Es
haben nun noch 4 von den Alten zu fahren, dann sind wir dran. Und da
bin ich nicht unter den Letzten. Wann dies ist, kann ich noch nicht
sagen. Ich schätze und hoffe, dass es so gerade um die Weihnachtszeit
oder etwas früher werden wird. Gelt liebe Mutter, jetzt freust Du Dich
furchtbar. Ich auch. Das Wetter tut immer noch ganz gut mit. So ganz
allmählich gehen wir in die Übergangszeit ein. Es brausten in den
letzten Tagen schon mächtige Stürme. Wenn solch ein Steppenwind
anbraust, dann sieht man nur noch Staub, nichts als Staub so weit das
Auge reicht. Die Nächte sind mitunter sehr kühl. Einmal hatten wir
schon 1-2° minus. Sonst hat es nachts so durchschnittlich +5° bis
+10°C. Nach langer Unterbrechung, es ist heute nun schon der 17.,
möchte ich diesen Brief nun schließen.
Es grüßt Euch alle aufs Herzlichste
Euer Kuno
Anmerkung: Ab dem 19.11 schließt sich langsam der Ring um
Stalingrad. Am 23.11. sind die deutschen Truppen vollständig umzingelt.
den 21.11.42
Meine Lieben!
Heute habt Ihr mir wieder eine
richtige, große Freude bereitet. Ich erhielt das zweite kg-Päckchen mit
den wunderbaren Wollsachen; dann die Kleinen von Gudrun vom 11.10. und
eines von Gisela von 31.10. Der Brief von Mutter vom 01.11. war auch
dabei. Mein allerherzlichsten Dank dafür. Nun friere ich diesen Winter
bestimmt nicht mehr. Ihr braucht auch nichts mehr schicken.
Dann kommt
beim Kommiss im besonderen Maße alles anders als man denkt. Es soll
nämlich Urlaubssperre eingetreten sein. Amtlich haben wir’s allerdings
noch nicht. Ja, da kann man eben nichts machen, wenn dies tatsächlich
zutreffen sollte. Morgen erhalten wir wieder eine extra Kampfzulage. Es
gibt unter anderem eine Tafel Schokolade, ein Schnitzel und eine Büchse
Gemischtkonserven. Darauf freuen wir uns natürlich. Die Verpflegung ist
wirklich ganz in Ordnung, Man kann sehr zufrieden sein. Gesundheitlich
bin ich beinahe wieder ganz auf der Höhe. Ich habe wieder einen
schweren Appetit, nachdem ich beinahe fünf Tage überhaupt nichts
gegessen habe.
Gudrun meint, ein großartiger Zufall sei das in ihrem
Päckchen gerade nicht. Wenn Ihr wüsstet, was allein nur ein Brötchen
für uns bedeutet. Zum Essen dürft Ihr schicken, was es gerade ist, die
kleinsten Mengen lösen schon eine ungeheure Freude aus, bedeuten sie
doch eine Abwechslung.
Das Wetter ist bis jetzt ganz ausgezeichnet. Es könnte für unsere
Arbeit nicht besser sein. Besonders kalt ist es nicht. Gestern Nacht
hat es ganz leicht geschneit. Es ist hier doch ganz anders als in der
Mitte. Seit einigen Tagen trage ich nur noch meine Filzstiefel. Viele,
die auch welche hatten, bereuen es, dass sie sie entweder verschenkt
oder sonst irgendwie hergegeben haben. Wie froh meine Kameraden sind,
wenn ich ihnen die meinen zum Wache schieben gebe. Die meinten nämlich
alle, dass wir diesen Winter nicht hier wären. Ich dachte mir, lieber
umsonst mitnehmen, um sie gegebenenfalls doch gebrauchen zu können.
Die Zeit verfliegt ja wirklich buchstäblich wie im Nu. Die Tage eilen
dahin wie Stunden. Tag ist es zur Zeit so um 5.00 morgens, und um 15.00
mittags ist es bereits so Nacht, dass man Licht brennen muss.
Wir
arbeiten von 5.00 früh bis 15.00 nachmittags. Unsere Arbeiten gehen so
langsam dem Ende entgegen, Gott sei Dank. Man sieht doch eine etwas
ruhigere Zeit nahen, vorausgesetzt, dass es auch nicht wieder anders
kommt. Na, wir wollen eben immer das Beste hoffen. Sollte wirklich
Urlaubssperre sein, so habe ich eben Pech gehabt, denn sie ist dann
gerade eingetroffen, wenn ich gefahren wäre, weil ich doch der Nächste
bin. Wir sind jetzt noch zu zweit in der ganzen Batterie, die am
längsten kein Urlaub mehr hatten; 22 Monate nicht mehr. Die zwei
anderen sind vor zwei Tagen gefahren.
Sonst weiß ich nichts Neues mehr.
Ja so; Gisela soll mir doch bitte wieder so einen Rostradierer
schicken, ich kann sehr notwendig einen gebrauchen. Mein anderer muss
anscheinend einem Kameraden besonders gut gefallen haben, was ja zum
Kommiss gehört.
Also seid nun für heute auf’s
herzlichste gegrüßt von
Eurem Kuno
den 15.12.42
Mein lieber Vater!
So allmählich wird es wieder
Zeit, dass ich Dir persönlich schreibe. Ich tue dies auch meistens
dann, wenn ich Dir Dinge mitteile, die ich eben nur Dir schreiben kann,
um die anderen nicht unnötig aufzuregen. Natürlich musst Du schweigen.
Das tue bitte mir zuliebe. Es kann allerdings sein, dass Dich dieser
Brief in den Feiertagen erreicht. Ich hoffe aber, Dir diese Tage
dadurch nicht zu verderben. Nach harten aufreibenden Tagen ist der
Russe wieder etwas ruhiger geworden. Groß und ohne Rücksicht auf
Menschen und Material waren seine täglichen Angriffe. Es ist ihm aber
nie gelungen, unsere unerschütterlich dastehende Front ins Wanken zu
bringen. Seine Infanteristen verbluteten. Chaotisch möchte man das
beinahe nennen. Leider leiden auch wir etwas darunter. Oh, sagen wir
aber immer, in 50 Jahren ist alles vorbei, und auf jeden Dezember folgt
auch wieder ein Mai. So bleibt unser Mut und unser Geist immer
derselbe. So muss es auch sein. Einst hast Du das alles mitgemacht. Nun
bin ich es!
[Anmerkung: Die
Anfangsbuchstaben ergeben die Nachricht: Sind eingeschlossen]
Wenn man dann später einmal von diesem Kampfe liest, dann kann
derjenige stolz sagen, ich war dabei; vorausgesetzt, dass er alles gut
und glücklich übersteht. Aber an etwas anderes denkt man nicht.
Unsere Verpflegung ist den Umständen entsprechend gekürzt worden, d.h.:
die vorhandenen Vorräte werden gestreckt. Wenn es auch statt 700 g Brot
nur noch 200 g im Tage gibt, und wenn auch die anderen Portionen um die
Hälfte kleiner wurden, will ich mich gar nicht darüber beklagen. Einmal
hat auch dies ein Ende. Wenn dann dies so weit ist, denke ich, dass es
auch wieder Urlaub gibt und da bin ich wahrscheinlich gleich unter den
Ersten, dann kann sich mein zur Zeit ausgehungerter Körper ja in der
lieben Mutter Küche wieder erholen.
Wie ein Geschenk des Himmels betrachten wir wirklich unsere braven JU
52; die uns unermüdlich versorgen. Auf dem Rückfluge nehmen sie dann
unsere Post mit; ja sie bringen sogar auch Briefpost in beschränktem
Maße.
Die Witterung ist überaus günstig. In den letzten drei Tagen sprang die
Temperatur um 0°. Es liegt eine leichte Schneedecke von 8-10 cm.
Unsere Unterkunft ist ganz gut. Wir haben wenigstens eine warme Bude,
im Gegensatz zu anderen, die teilweise noch in Erdlöchern nur mit
Zeltbahnen oder Brettern abgedeckt hausen müssen.
Ich habe nur den einen Wunsch, dass wir das Weihnachtsfest hier noch
erleben können. Den Baum werden wir aus Holz basteln; vielleicht wird
es auch nur ein einfacher Leuchter. Unser aller Weihnachtswunsch wäre
vielfach erfüllt, wenn jeder nur ein Laib Brot bekäme. Dann vielleicht
noch ein anständiges Stück Pferdefleisch dazu. Ja, lieber Vater, ich
hätte auch nie gedacht, wie gerne ich einmal dieses Fleisch essen
würde. Wir haben ihm auch schon seinen Namen gegeben und nennen es so,
wie man bei uns daheim das erste in Kraut gekochte Fleisch beim
Schlachten nennt.
Habt Ihr schon Schnee? Oh, ich kann mir gut
vorstellen, was Ihr jetzt zu Hause alles treibt. Die Mutter backt
Brötchen, Gisela und Gudrun helfen ihr. Ich atme in Gedanken den
wunderbaren Duft ein, der in der Backstube beim Bäcker herrscht. Den
Baum werdet Ihr wohl auch schon haben und manchen Schränken ist
vielleicht schon der Schlüssel abgenommen worden. Die Einkaufstaschen
werden bei Heimkehr besonders behandelt und an einem geheimen Plätzchen
entleert. Die Schaufenster sind voll mit Spielsachen, der Heilige Abend
wird mit Spannung erwartet.
So stelle ich mir das vor und ich glaube, dass es auch trotz des
Krieges noch so sein wird. Mein Schönstes am Heiligen Abend ist das,
wenn ich in Gedanken bei Euch bin und mit Euch neben dem brennenden
Baume sitze.
So möchte ich schließen und Dir und Euch allen nochmals recht fröhliche
und freudige Weihnachten wünschen.
Es grüßt Dich recht herzlich
Dein Kuno
Weihnachten 1942
Meine Lieben!
Wiederum geht dieses schöne Fest
zu Ende. Zum
zweiten Male feiern wir es getrennt. Ich hier im Einsatz gegen unseren
großen Feind, und Ihr daheim zu Hause, auch im Einsatz für uns. Und
doch feierten wir es miteinander, denn meine sowie auch Eure Gedanken
waren beieinander. Diese Gewissheit war für mich das Schönste am
Ganzen.
Trotz den derzeitigen Umständen wurden wir mit herrlichen Dingen
beschert. 30 Zigaretten, 3 Zigarren, 200 g Schokolade, eine Rolle
Bonbons, 10 Brötchen, 150 g Brot extra, eine Büche Ölsardinen und
Schnaps. Unsere Freude war riesig. Einfach und schlicht haben wir
unseren Bunker hergerichtet, so dass es ganz gemütlich und schön war,
und als bei Euch daheim der Baum brannte, da strahlten auch bei uns die
Kerzen, da sangen auch wir Weihnachtslieder. Auch der Russe war ganz
ruhig. Kein Geschützdonner, kein Gewehr- oder MG-Schuss unterbrach die
Stille der Heiligen Nacht. Wir wunderten uns, denn voriges Jahr war es
anders.
Unsere Küche bot auch alles auf und bereitete uns ein Essen wie wir es
schon lange wieder einmal wünschten.
Beinahe hätte es ja geklappt, dass ich über diese Tage im Urlaub
gewesen wäre. Aber so steht er mir jetzt noch bevor und ich freue mich
sehr darauf. Wann es soweit wird, kann ich Euch unmöglich sagen, zur
Zeit herrscht ja noch Urlaubssperre für uns, und bis die wieder
aufgehoben werden kann, vergehen bestimmt noch Wochen. Post haben wir
auch schon sehr lange nicht mehr erhalten. Doch wenn einmal die erste
wieder eintrudelt, dann herrscht wieder Festtagsstimmung. Dann ist auch
vielen wieder anderst. Stimmung, Mut und Hoffnung ist jedoch immer gut
und unerschütterlich.
Seid in diesem Sinne tausendmal
auf’s Herzlichste gegrüßt von
Eurem Kuno
Auf ein frohes Wiedersehen
30.12.42
Meine Lieben!
„Glück und Gesundheit im Neuen
Jahr 1943“,dies
wünscht Euch allen von ganzem Herzen Euer lieber Kuno. Möge das
kommende Jahr ein frohes und glückliches Wiedersehen bringen. Sonst
geht es mir gut.
Die allerherzlichsten Grüße
Euer Kuno!