Feldpostbrief Kuno Rinker 19
Im Osten, 04.09.42
Mein lieber Papa!
Seit 5 Tagen stehen wir wieder im Einsatz. Toll möchte ich ihn nennen. Allmählich lerne ich den Krieg in seiner härtesten Weise kennen. Letzten Endes reift aber auch hier eine Entscheidung heran, die bestimmt für diesen Feldzug von größter Wichtigkeit ist. Ist nämlich Stalingrad gefallen, und das wird bald der Fall sein, dann kann der Russe sein Testament machen; so meinen wir es. –N - Glaube mir, einen solchen Aufmarsch habe ich noch nie gesehen. Rechts und links der Straßen steht Fahrzeug an Fahrzeug, Geschütze, Panzer, usw. Alles ist da. Das solltest Du sehen.
[Anmerkung: Die Anfangsbuchstaben ergeben den Ort: Stalingrad]
Während ich hier diese Zeilen schreibe, heulen über mich die feindlichen Granaten und bersten die Einschläge aller Kaliber in unserer Umgebung. Ich habe mir einen Graben ausgehoben. Hier schlafe ich und halte mich dauernd darin auf, wenn ich nicht gerade Dienst habe. Wir liegen in einer Schlucht, der einzigen in weitem Umkreise, und auf die haben es die Russen besonders abgesehen. Nachts beschießen sie uns mit Do-Geräten, den sogenannten Stalinorgeln. Dies ist das Furchtbarste, was man sich vorstellen kann. Es sind dies raketenartige Geschosse. Hinten haben sie Flügel wie die Bomben. Eine Salve besteht aus 25 bis 30 Stück. Wie heulende Sirenen hört sich das an, wenn so eine Lage anbraust. Alle 30 Schuss krepieren nun auf einem Gebiete von vielleicht 100 m2. Wie dichte Schwärme sausen die Splitter in der Gegend herum und alles was so einen Meter und noch mehr über der Erde ist, bekommt eins ab: denn der Zweck dieser Dinger ist ja nur die große Splitterwirkung. Unsere Do-Geräte übertreffen die russischen noch bei weitem.
In diesem Einsatz habe ich den Mut unserer beiden Auswerte-Offiziere kennengelernt. Gestern nacht schossen sie wieder, die Orgeln im Abstand von 45 Minuten. Ich hatte gerade Fernsprechdienst. Noch im Wagen war ein Offizier und unser Unteroffizier. Da heulte die erste Lage an. Der Leutnant hetzte in den Splittergraben. Ich konnte und durfte nicht vom Apparat weg, denn wir wollten die Do’s aufklären und gleich bekämpfen, und da kommt es auf Sekunden an, denn die fahren auf, schießen, und hauen wieder ab. Wir bekamen sie gut, der Unteroffizier gab der Ari das Kommando, und als die ersten Schüsse abgefeuert waren, kam unser Leutnant wieder zu uns, ganz weiß im Gesicht und zitternd wie Espenlaub. Nach einer Weile sagte er, er müsse zum Sch…; ging und kam nicht mehr. Nach der zweiten Lage übergab er das ganze Aufklären und Bekämpfen unserem Unteroffizier; setzte den Stahlhelm auf und legte sich in den Splittergraben. Wir beide machten nun den ganzen Laden allein bei noch zwei weiteren Überfällen. Und wenn dann für diesen Einsatz die EKs ausgeteilt werden, so ist er der Erste, der’s bekommt, denn er hat noch keins. Und die, die im schärfsten Granat- und Do-Splitterregen ihre Pflicht erfüllen, die können in den Mond schauen.
Anderntags muss man sich dann von solchen Herren noch vorhalten und verseckeln lassen, man habe dies und das nicht recht gemacht. Lieber Vater, dies muss ich Dir nun doch einmal schreiben, denn so ist es bei jedem Einsatz. Weißt, und mit den Auszeichnungen ist es so: da sind noch Offiziere und Unteroffiziere, die haben noch nichts. Ebenfalls alte Obergefreite, und Gefreite, alte Batterieangehörige. Bei jedem Einsatz werden EKs angefordert. Nun kommen erst diese, denn ein junges Mitglied kaum und verdient doch kein EK. So ist’s bei uns. Nun kannst Du Dir auch vorstellen, was derjenige für mich bedeutet, der das EK bei uns trägt. Ein Infanterist, der nur das Infanteristenabzeichen trägt, ist mir tausendmal mehr wert als einer der bei uns das EK hat. Des weiteren solltest Du einmal bei einem Soldaten, der den ganzen Winter im Einsatz war, das schwarzweiße Band auf rotem Grunde sehen, das wie das Band zum EK im Knopfloche getragen wird, dann denke an mich, dass ich Dir geschrieben habe, dass dies für mich und uns viel mehr bedeutet als EK 1 und 2. Glaube es mir. Ich sage es deshalb, weil ich weiß, was man bei uns sein und leisten muss, um dazu zu kommen.
Dann noch eins. Kannst Du Dich an den Wehrmachtsbericht vor 10 bis 14 Tagen erinnern, in dem es hieß: bei Kalatsch wurde nach Niederkämpfung der feindlichen Ari der Übergang über den Don erzwungen. Das war unsere Batterie, die die Ari zerschlug. Ich war dabei, ich habe daran mitgearbeitet. Kannst Dir denken, wie stolz wir waren als wir das hörten. Unser Kraftfahrer Ernst Sergbold aus Neenstetten wurde leider bei einem Do-Überfall verwundet.
Heute sind wieder Marketenderwaren gekommen. Morgen werden sie verteilt. Da gibt’s wenigstens wieder was zu rauchen. Du weißt ja wie gut so eine Zigarette ist. Immer wenn es zu toll wird stecken wir uns eine an. Da gibt jeder, der noch hat, dem andern. Da ist die Kameradschaft am Größten und Schönsten. Lieber Vater! Der Hauptzweck meines heutigen Schreibens ist Dein Geburtstag. Ich wünsche Dir alles, alles Gute, noch viele schöne Stunden und Tage und hoffe, dass ich Dich bald wieder sehen kann, denn ich muss und weiß Dir vieles zu erzählen. Wie gerne möchte ich ihn mit Dir zusammen bei einem saftigen Schlucke trinken. Leider mußt Du es alleine machen. Tue es aber ausgiebig. Ich schicke Dir 20 RM. Davon kaufst Du Dir den besten Likör, Schnaps oder Sekt, den Du daheim auftreiben kannst. Also nochmals alles Gute.
Ich möchte nun für heute schließen und grüße Dich aufs Herzlichste
Dein Kuno
Feldpostbrief Kuno Rinker 20
den 22.09.42
Meine Lieben!
Heute möchte ich Euch auch wieder mal schreiben. Ich sitze in meinem Bunker, den ich in mühsamer Arbeit mit noch einem Kameraden in den letzten drei Tagen ausgebuddelt habe. Die Erde ist so hart, dass cm um cm abgepickelt werden muss. Wir haben ihn hauptsächlich deswegen gebaut, dass wir nachts warm schlafen können, denn wirklich ist es sehr kühl. Ein kleines Tischchen dient zum Schreiben. Durch eine „Geheimleitung“, die zum Wagen führt, haben wir auch Licht.
Die neueste Nachricht von Euch ist der Luftpostbrief vom 25.08. Dann erhielt ich vor drei Tagen mehrere Päckchen mit Backwerk und den ganz herrlichen Marzipankügelchen. Das Mückennetz war auch dabei. Es kam leider sehr spät, denn Ihr habe es schon am 16.07. abgeschickt. Habt Ihr eigentlich die Bilder schon erhalten, die ich während unserer Auffrischungszeit abgeschickt habe? Dann die Gedichte und Zeitungsausschnitte von damals? Uns fehlt nämlich noch Post vom Juni und anfangs Juli. So rund weitere 70 Bilder habe ich bestellt. Die bringe ich dann im Urlaub mit. Jeden Monat fahren ja welche, so dass die Alten jetzt beinahe durch sind. Ich hoffe so auf Weihnachten oder Januar. Da habt Ihr ganz richtig erraten, damals am 23. August beim Don-Übergang waren wir dabei.
Nun sitzen wir schon ein paar Wochen am selben Fleck. Tagsüber sehen wir die mächtige Rauchsäule und nachts den großen Brand der in besagter Stadt wütet. Der Russe versucht unter Aufbietung aller Kräfte, Ari, Dos (Stalinorgeln) Flieger und unter ständigem Angreifen mit Panzern und Infanterie unsere Front zu durchstoßen. Immer scheitert er. Gerade in dem Streifen, wo wir eingesetzt sind, versucht er’s am stärksten. Neulich wurden ja auch laut Wehrmachtsbericht 120 seiner Panzer abgeschossen. Die Luftwaffe unterstützt uns dabei in ganz hervorragender Weise. Ihr solltet einmal sehen, wenn Stukawelle auf Stukawelle anfliegt, gleich 50 Stück auf einmal, dann Zerstörerverbände und Schlachtfliegerstaffeln in ununterbrochenem abwechselnden Einsatz. Ich möchte da kein Russe sein. Ihr denkt vielleicht, dass der Russe in seiner Stärke unterstützt wurde, denn er greift ja nach und nach mit Unmengen von Menschen und Material an. Da sagen wir nur eins; das ist das letzte Aufbäumen eines Todwunden. Gleichzeitig dürft Ihr aber auch nicht vergessen, was unsere Infanteristen leisten. Es grenzt ans Unmögliche. So nun aber genug von dem Kriegskram. Das Essen ist ganz ordentlich. Auch sonst geht es mir immer gut. Es ist eben Krieg. In 4 Wochen bin ich schon ein ganzes Jahr in Russland. Hoffentlich mache ich das zweite hier nicht mehr voll.
Wenn Ihr Kerzen habt, könnt Ihr mir auch welche schicken, denn jetzt in den Bunkern kann man Licht sehr nötig brauchen. Dann sind wir ja wahrscheinlich auch diesen Winter hier. Sonst weiß ich eigentlich nichts viel neues mehr.
Seid nun für heute rech herzlich gegrüßt von
Eurem Kuno
Schade, dass ich morgen nicht unter Euch weilen kann. Aber dafür gibt’s Post! Eine Päckchenmarke liegt auch bei.
Feldpostbrief Kuno Rinker 21
Den 10.10.42
Meine Lieben!
Recht herzlichen Dank für die lieben Päckchen. Ich habe sie vorgestern erhalten. Es waren drei mit Pudding und eins von Gisela mit den Schlehen. Gestern habe ich mir nun mit dem Griesmehl und 2 Päckchen Puddingpulver einen Griespudding gemacht. Es gibt hier leider nirgends Milch. Lediglich Wasser. So mache ich eben Wasser dazu. Trotzdem wurde er ganz prima. Es haben sich insgesamt 4 Mann daran sattgegessen. Leider kann ich wirklich kaum was essen, denn ich habe zur Zeit sehr Durchfall. Liederlich ist es mir dabei zumute. Unser Essen ist aber dabei so gut wie noch nie. Nun, auch das geht vorüber. Gut wäre es allerdings, wenn ich es nicht jetzt während des Einsatzes hätte. – Neulich hatten wir Gelegenheit, die Führerrede und die Rede Görings zu hören. Wir haben doch einen Wehrmachtsempfänger bei uns. So hören wir täglich mit großer Spannung den Wehrmachtsbericht. Tatsächlich kommen die Ereignisse in unserem Abschnitt fast jeden Tag. Aller Augen sind ja auf Stalingrad gerichtet. Lieber lassen die sich zu Tode fahren oder schießen, als dass sie nur einen Schritt zurückweichen. Jedes Haus ist ja dort eine kleine Festung, wie Ihr ja bestimmt schon gelesen habt. Nun wird ja nur noch im Norden der Stadt gekämpft, während es im Südviertel schon eine Ortskommandantur gibt. Gelt, da staunt Ihr. Recht vieles könnte ich Euch darüber und über manches andere noch schreiben. Aber ich darf doch nicht. Deshalb Schluss!!
[Anmerkung: Die Anfangsbuchstaben ergeben den Ort: Riegelstellung NW Stalingrad]
Über 4 Wochen sind wir nun schon hier an dieser Stelle im Einsatz. In den letzten beiden Wochen ist es Gott sei Dank ruhiger geworden. Der Russe schießt nicht mehr viel. Wir glauben, dass er nichts mehr hat. So sagen ja auch Gefangene aus. Es ist nämlich so: hat er Munition, so schießt er mit allen verfügbaren Rohren bis nichts mehr da ist. Kam gerade eine Sendung Bomben, so haben wir nachts Fliegerbesuch. So richtig ungestüm, so immer drauf los wenn was da ist, um dann wieder tagelang zu schweigen. Bei Nacht schießt er nur noch ganz ganz selten, und wenn, dann hauen wir ihm den Laden voll.
Unsere großen Hoffnungen, im Winter diesmal rauszukommen, sind dahin. In den nächsten Tagen bauen wir uns für den Winter unsere Bunker und Stellungen. Ein guter Tropfen ist aber doch dabei; mein Urlaub. Es haben nun noch 4 von den Alten zu fahren, dann sind wir dran. Und da bin ich nicht unter den Letzten. Wann dies ist, kann ich noch nicht sagen. Ich schätze und hoffe, dass es so gerade um die Weihnachtszeit oder etwas früher werden wird. Gelt liebe Mutter, jetzt freust Du Dich furchtbar. Ich auch. Das Wetter tut immer noch ganz gut mit. So ganz allmählich gehen wir in die Übergangszeit ein. Es brausten in den letzten Tagen schon mächtige Stürme. Wenn solch ein Steppenwind anbraust, dann sieht man nur noch Staub, nichts als Staub so weit das Auge reicht. Die Nächte sind mitunter sehr kühl. Einmal hatten wir schon 1-2° minus. Sonst hat es nachts so durchschnittlich +5° bis +10°C. Nach langer Unterbrechung, es ist heute nun schon der 17., möchte ich diesen Brief nun schließen.
Es grüßt Euch alle aufs Herzlichste
Euer Kuno

Anmerkung: Ab dem 19.11 schließt sich langsam der Ring um Stalingrad. Am 23.11. sind die deutschen Truppen vollständig umzingelt.

Feldpostbrief Kuno Rinker 22
den 21.11.42
Meine Lieben!
Heute habt Ihr mir wieder eine richtige, große Freude bereitet. Ich erhielt das zweite kg-Päckchen mit den wunderbaren Wollsachen; dann die Kleinen von Gudrun vom 11.10. und eines von Gisela von 31.10. Der Brief von Mutter vom 01.11. war auch dabei. Mein allerherzlichsten Dank dafür. Nun friere ich diesen Winter bestimmt nicht mehr. Ihr braucht auch nichts mehr schicken.
Dann kommt beim Kommiss im besonderen Maße alles anders als man denkt. Es soll nämlich Urlaubssperre eingetreten sein. Amtlich haben wir’s allerdings noch nicht. Ja, da kann man eben nichts machen, wenn dies tatsächlich zutreffen sollte. Morgen erhalten wir wieder eine extra Kampfzulage. Es gibt unter anderem eine Tafel Schokolade, ein Schnitzel und eine Büchse Gemischtkonserven. Darauf freuen wir uns natürlich. Die Verpflegung ist wirklich ganz in Ordnung, Man kann sehr zufrieden sein. Gesundheitlich bin ich beinahe wieder ganz auf der Höhe. Ich habe wieder einen schweren Appetit, nachdem ich beinahe fünf Tage überhaupt nichts gegessen habe.
Gudrun meint, ein großartiger Zufall sei das in ihrem Päckchen gerade nicht. Wenn Ihr wüsstet, was allein nur ein Brötchen für uns bedeutet. Zum Essen dürft Ihr schicken, was es gerade ist, die kleinsten Mengen lösen schon eine ungeheure Freude aus, bedeuten sie doch eine Abwechslung.
Das Wetter ist bis jetzt ganz ausgezeichnet. Es könnte für unsere Arbeit nicht besser sein. Besonders kalt ist es nicht. Gestern Nacht hat es ganz leicht geschneit. Es ist hier doch ganz anders als in der Mitte. Seit einigen Tagen trage ich nur noch meine Filzstiefel. Viele, die auch welche hatten, bereuen es, dass sie sie entweder verschenkt oder sonst irgendwie hergegeben haben. Wie froh meine Kameraden sind, wenn ich ihnen die meinen zum Wache schieben gebe. Die meinten nämlich alle, dass wir diesen Winter nicht hier wären. Ich dachte mir, lieber umsonst mitnehmen, um sie gegebenenfalls doch gebrauchen zu können. Die Zeit verfliegt ja wirklich buchstäblich wie im Nu. Die Tage eilen dahin wie Stunden. Tag ist es zur Zeit so um 5.00 morgens, und um 15.00 mittags ist es bereits so Nacht, dass man Licht brennen muss.
Wir arbeiten von 5.00 früh bis 15.00 nachmittags. Unsere Arbeiten gehen so langsam dem Ende entgegen, Gott sei Dank. Man sieht doch eine etwas ruhigere Zeit nahen, vorausgesetzt, dass es auch nicht wieder anders kommt. Na, wir wollen eben immer das Beste hoffen. Sollte wirklich Urlaubssperre sein, so habe ich eben Pech gehabt, denn sie ist dann gerade eingetroffen, wenn ich gefahren wäre, weil ich doch der Nächste bin. Wir sind jetzt noch zu zweit in der ganzen Batterie, die am längsten kein Urlaub mehr hatten; 22 Monate nicht mehr. Die zwei anderen sind vor zwei Tagen gefahren.
Sonst weiß ich nichts Neues mehr. Ja so; Gisela soll mir doch bitte wieder so einen Rostradierer schicken, ich kann sehr notwendig einen gebrauchen. Mein anderer muss anscheinend einem Kameraden besonders gut gefallen haben, was ja zum Kommiss gehört.
Also seid nun für heute auf’s herzlichste gegrüßt von
Eurem Kuno
Feldpostbrief Kuno Rinker 23
den 15.12.42
Mein lieber Vater!
So allmählich wird es wieder Zeit, dass ich Dir persönlich schreibe. Ich tue dies auch meistens dann, wenn ich Dir Dinge mitteile, die ich eben nur Dir schreiben kann, um die anderen nicht unnötig aufzuregen. Natürlich musst Du schweigen. Das tue bitte mir zuliebe. Es kann allerdings sein, dass Dich dieser Brief in den Feiertagen erreicht. Ich hoffe aber, Dir diese Tage dadurch nicht zu verderben. Nach harten aufreibenden Tagen ist der Russe wieder etwas ruhiger geworden. Groß und ohne Rücksicht auf Menschen und Material waren seine täglichen Angriffe. Es ist ihm aber nie gelungen, unsere unerschütterlich dastehende Front ins Wanken zu bringen. Seine Infanteristen verbluteten. Chaotisch möchte man das beinahe nennen. Leider leiden auch wir etwas darunter. Oh, sagen wir aber immer, in 50 Jahren ist alles vorbei, und auf jeden Dezember folgt auch wieder ein Mai. So bleibt unser Mut und unser Geist immer derselbe. So muss es auch sein. Einst hast Du das alles mitgemacht. Nun bin ich es!
[Anmerkung: Die Anfangsbuchstaben ergeben die Nachricht: Sind eingeschlossen]
Wenn man dann später einmal von diesem Kampfe liest, dann kann derjenige stolz sagen, ich war dabei; vorausgesetzt, dass er alles gut und glücklich übersteht. Aber an etwas anderes denkt man nicht.
Unsere Verpflegung ist den Umständen entsprechend gekürzt worden, d.h.: die vorhandenen Vorräte werden gestreckt. Wenn es auch statt 700 g Brot nur noch 200 g im Tage gibt, und wenn auch die anderen Portionen um die Hälfte kleiner wurden, will ich mich gar nicht darüber beklagen. Einmal hat auch dies ein Ende. Wenn dann dies so weit ist, denke ich, dass es auch wieder Urlaub gibt und da bin ich wahrscheinlich gleich unter den Ersten, dann kann sich mein zur Zeit ausgehungerter Körper ja in der lieben Mutter Küche wieder erholen.
Wie ein Geschenk des Himmels betrachten wir wirklich unsere braven JU 52; die uns unermüdlich versorgen. Auf dem Rückfluge nehmen sie dann unsere Post mit; ja sie bringen sogar auch Briefpost in beschränktem Maße.
Die Witterung ist überaus günstig. In den letzten drei Tagen sprang die Temperatur um 0°. Es liegt eine leichte Schneedecke von 8-10 cm. Unsere Unterkunft ist ganz gut. Wir haben wenigstens eine warme Bude, im Gegensatz zu anderen, die teilweise noch in Erdlöchern nur mit Zeltbahnen oder Brettern abgedeckt hausen müssen.
Ich habe nur den einen Wunsch, dass wir das Weihnachtsfest hier noch erleben können. Den Baum werden wir aus Holz basteln; vielleicht wird es auch nur ein einfacher Leuchter. Unser aller Weihnachtswunsch wäre vielfach erfüllt, wenn jeder nur ein Laib Brot bekäme. Dann vielleicht noch ein anständiges Stück Pferdefleisch dazu. Ja, lieber Vater, ich hätte auch nie gedacht, wie gerne ich einmal dieses Fleisch essen würde. Wir haben ihm auch schon seinen Namen gegeben und nennen es so, wie man bei uns daheim das erste in Kraut gekochte Fleisch beim Schlachten nennt.
Habt Ihr schon Schnee? Oh, ich kann mir gut vorstellen, was Ihr jetzt zu Hause alles treibt. Die Mutter backt Brötchen, Gisela und Gudrun helfen ihr. Ich atme in Gedanken den wunderbaren Duft ein, der in der Backstube beim Bäcker herrscht. Den Baum werdet Ihr wohl auch schon haben und manchen Schränken ist vielleicht schon der Schlüssel abgenommen worden. Die Einkaufstaschen werden bei Heimkehr besonders behandelt und an einem geheimen Plätzchen entleert. Die Schaufenster sind voll mit Spielsachen, der Heilige Abend wird mit Spannung erwartet.
So stelle ich mir das vor und ich glaube, dass es auch trotz des Krieges noch so sein wird. Mein Schönstes am Heiligen Abend ist das, wenn ich in Gedanken bei Euch bin und mit Euch neben dem brennenden Baume sitze.
So möchte ich schließen und Dir und Euch allen nochmals recht fröhliche und freudige Weihnachten wünschen.
Es grüßt Dich recht herzlich
Dein Kuno
Feldpostbrief Kuno Rinker 24
Weihnachten 1942
Meine Lieben!
Wiederum geht dieses schöne Fest zu Ende. Zum zweiten Male feiern wir es getrennt. Ich hier im Einsatz gegen unseren großen Feind, und Ihr daheim zu Hause, auch im Einsatz für uns. Und doch feierten wir es miteinander, denn meine sowie auch Eure Gedanken waren beieinander. Diese Gewissheit war für mich das Schönste am Ganzen. Trotz den derzeitigen Umständen wurden wir mit herrlichen Dingen beschert. 30 Zigaretten, 3 Zigarren, 200 g Schokolade, eine Rolle Bonbons, 10 Brötchen, 150 g Brot extra, eine Büche Ölsardinen und Schnaps. Unsere Freude war riesig. Einfach und schlicht haben wir unseren Bunker hergerichtet, so dass es ganz gemütlich und schön war, und als bei Euch daheim der Baum brannte, da strahlten auch bei uns die Kerzen, da sangen auch wir Weihnachtslieder. Auch der Russe war ganz ruhig. Kein Geschützdonner, kein Gewehr- oder MG-Schuss unterbrach die Stille der Heiligen Nacht. Wir wunderten uns, denn voriges Jahr war es anders. Unsere Küche bot auch alles auf und bereitete uns ein Essen wie wir es schon lange wieder einmal wünschten. Beinahe hätte es ja geklappt, dass ich über diese Tage im Urlaub gewesen wäre. Aber so steht er mir jetzt noch bevor und ich freue mich sehr darauf. Wann es soweit wird, kann ich Euch unmöglich sagen, zur Zeit herrscht ja noch Urlaubssperre für uns, und bis die wieder aufgehoben werden kann, vergehen bestimmt noch Wochen. Post haben wir auch schon sehr lange nicht mehr erhalten. Doch wenn einmal die erste wieder eintrudelt, dann herrscht wieder Festtagsstimmung. Dann ist auch vielen wieder anderst. Stimmung, Mut und Hoffnung ist jedoch immer gut und unerschütterlich.
Seid in diesem Sinne tausendmal auf’s Herzlichste gegrüßt von
Eurem Kuno
Auf ein frohes Wiedersehen
Feldpostbrief Kuno Rinker 25
30.12.42
Meine Lieben!
„Glück und Gesundheit im Neuen Jahr 1943“,dies wünscht Euch allen von ganzem Herzen Euer lieber Kuno. Möge das kommende Jahr ein frohes und glückliches Wiedersehen bringen. Sonst geht es mir gut.
Die allerherzlichsten Grüße
Euer Kuno!