Die ausgewählten Briefe von Kuno Rinker können bei Bedarf
durch Anklicken der Bilder auch im Orginal angezeigt und gelesen
werden. Sehr lange Briefe benötigen dabei allerdings entsprechende
Ladezeiten und die Briefe sind trotz Aufbereitung aufgrund ihres Alters
oftmals schwer zu entziffern.
Ab dem 01.07.1942 ergeben
die Anfangsbuchstaben des ersten Absatzes bei entsprechender Markierung
des Briefes den derzeitigen
Einsatzort der Beobachtungs-Abteilung 36. Dies wurde so zwischen dem
Vater Gottfried Rinker und seinem Sohn Kuno abgesprochen. Eine Nennung
von Orten und Einheiten in den Feldpostbriefen war nicht
erlaubt und so benutzten Vater und Sohn diese Codierung um zumindest
den Standort der B36 mitzuteilen. Die entzifferten Orte sind im
Brieftext am Ende des ersten Absatzes als [Anmerkung] eingetragen.
Gleich
im Voraus: dies sind keine heldenhaften Erzählungen oder actiongeladene
Berichte. Auch aus Stalingrad sendet der Briefeschreiber keine
vollkommenen Horrornachrichten nach Hause (auch wenn vieles aus
Rücksichtnahme auf die besorgte Mutter wohl verschwiegen wurde) - wer
entsprechendes erwartet, wird enttäuscht werden. Man erhält hier
Einblicke ins Leben eines einfachen Soldaten, der ohne Erwartungen nach
Russland kommt und seiner Familie von seinen Erlebnissen dort
berichtet.
den 16.Oktober 1941
Meine Lieben!
Wir haben gerade wieder einen
längeren Aufenthalt auf einem russischen Bahnhof. Wie er sich nennt,
das weiß kein Teufel, denn diese Buchstaben sind für uns alle ein
„Böhmisches Dorf“. Die Fahrt verlief bis jetzt ganz ausgezeichnet. Am
Freitag, 10.10.41, 13.15 Uhr, sind wir in Ulm abgefahren in 2
französischen
Personenwagen als Anfangsfahrzeuge eines langen Güterzuges. Wir konnten
uns sofort häuslich einrichten, da die Wagen uns bis zur
Frontsammelstelle bringen. Platz haben wir genügend. Die Wagen sind
auch wie bei uns in einzelne Coupés eingeteilt mit einem durchgehenden
Gang auf der Seite. Der Güterzug brachte uns über Donauwörth nach
Nürnberg. Dort wurden wir
an einen beschleunigten Personenzug angehängt. Nach einigen Glas Bieren
und einem Nachtessen in
der Bahnhofswirtschaft ging es weiter über Hof und Plauen nach Leipzig.
Dort hatten wir 4 Stunden Aufenthalt und durften einzeln in die Stadt.
Nachdem wir durch das Deutsche Rote Kreuz verpflegt waren, stiegen wir
am Güterbahnhof wieder ein.
Ein Güterzug brachte uns dann über Cottbus
und Rothenburg (Oder) nach Neu-Bentschen. Dieses Städtchen war nach dem
Weltkrieg Grenzstation zwischen Deutschland und Polen. Auch hier
verpflegte uns das D.R.K. wie an fast sämtlichen Stationen, die ich bis
jetzt aufgeführt habe, und die noch folgen. Ihr macht Euch gar kein
Bild, wie froh wir Soldaten am D.R.K. sind. Es ist dies eine ganz
wunderbare Einrichtung. Wenn man den ganzen Tag unterwegs ist und nur
von Brot und Konserven lebt, so ist jeder von uns froh, wenn er eine
warme Suppe oder warmen Eintopf bekommt und dazu noch heißen Kaffee
oder Tee in die Feldflasche. Das erste was wir heute tun, wenn wir an
einer Station halten, ist, dass wir erst nach den Namen schauen, und
dann nach dem DRK.
Am Sonntag, 12.10.41, 15.40 überfuhren wir die Grenze des ehemaligen
deutschen Reiches und dem polnischen Korridor. Voller Spannung schaute
alles zu den Fenstern raus. Aber ein großer Unterschied war hier nicht
festzustellen. Die Landschaft wurde allmählich flach. Größere Dörfer
sahen wir nicht, aber dafür viele einzelne Höfe. Posen – Goßlershausen
– deutsch Eylau waren die großen Städte, die wir aber alle in der Nacht
vom 12. auf 13. passierten.
Dann ging’s hinein nach Ostpreußen. Der Weg führte über Allenstein –
Insterburg und Eydtkau. Dort waren wir am 13. so gegen 22.00. Es war
dies gleichzeitig die letzte deutsche Station. Wo es von hier aus
hingehen sollte, wusste niemand. Genau so wenig wir heute wissen wo wir
hingefahren werden.
Am 14.10.41 passierten wir die deutsch-litauische Grenze etwa um 0.45.
Beim Morgengrauen biegen wir in den Bahnhof von Kowno ein. Er ist eine
sehr große Anlage. Tadellos sauber. Von Kowno aus konnten wir zum
ersten Male während der Fahrt fremdes Land und fremde Leute
kennenlernen. Wir durchfuhren eine flache, wellige Landschaft mit viel
Wald-, Wiesen- und Weideland. Selten sah man ein paar kleine Äckerchen.
Es gibt hier fast gar keine Ortschaften. Weit zerstreut im Gelände
liegen einzelne Behausungen. Es sind dies ganz kleine, primitive
Holzhütten ungefähr so groß wie bei uns die Wochenendhäuschen in den
Gärten. Nebenan mindestens ein kleiner Schuppen fürs Vieh und sonstiges
Gerät. Die 3-4 schwarz-weiß gefleckten Kühe, die dazu gehören, liefen
frei weidend in der Gegend umher, in den seltensten Fällen bewacht. So
geht es fort.
Nach ein paar ganzen Stunde Bahnfahrt gelangten wir in
Wilna an. Da wir hier wieder so ungefähr 5 Stunden Aufenthalt hatten,
bekommen wir die Erlaubnis uns die Stadt anzusehen. Wir haben sie dann
2 Stunden lang kreuz und quer durchlaufen und beinahe den Bahnhof nicht
mehr gefunden. Es gibt hier 1 schöne geteerte Straße. Sonst breite, mit
ganz groben Steinen gepflasterte, holprige Wege. Was eigentlich die
Leute arbeiten, konnten wir bis jetzt noch nicht feststellen. Ein paar
100 m nach dem Bahnhof eine große Menschenmenge. Es waren Litauer die
untereinander handelten und tauschten. Der eine hatte einen Mantel, der
andere Stoff, Handtücher, wieder andere Schuhe, kurzum, jeder
irgendetwas, altes, neues Zeug usw. Da war ein Geschwätz, ein Gejohle.
Wir staunten und lachten. Die Leute selbst unglaubliche
Kleidungsstücke: Schlappmützen, lange Pelzmäntel und meistens
Rohrstiefel, auch Frauen, unrasiert, lange Haare, vielleicht vor 6
Monaten zum letzten Male geschnitten. Viele, anscheinend ehemalige
jüdische Geschäfts- und Privathäuser sind beschlagnahmt und mit Ketten
und Schlössern verschlossen. Die Juden selbst sind erkenntlich an ihrem
Davidstern, den sie auf der Brust und auf dem Rücken angeheftet tragen.
Sie dürfen nicht auf dem Bürgersteig laufen, sondern daneben am rechten
oder linken Straßenrand.
Vom Krieg sahen wir nicht besonders viel.
Einige Häuserblocks waren zusammengeschossen oder ausgebrannt. In der
Hauptstraße sind die Juden und Kriegsgefangenen zu den
Aufräumungsarbeiten eingesetzt. Wenn einer nichts arbeiten will,
bekommt er mit der Reitpeitsche des Aufsichtshabenden ein paar
wohlverdiente Hiebe über den Rücken. Der deutsche Soldat wird ganz
zuvorkommend behandelt. Um 15.00 verließen wir dann Wilna, um über
Dünaburg das wir gegen 24.00 durchfuhren, die lettische Grenze zu
überschreiten.
Dann ging’s hinein nach Lettland. Soweit wir dieses Ländchen bei Tag
durchfuhren, konnten wir feststellen, dass gar kein Unterschied in
Landschaft, Bevölkerungsaussehen und Häuserbau besteht. Bei der
Eisenbahn der beiden Länder herrscht kein Betrieb, stur auf Fahrplan
wie bei uns. Wenn wir gefragt haben, wann der Zug abfährt, (es war nur
lit. bzw. lett. Personal vorhanden) so sagte man uns: in ca. 10 Min
oder halbe Stunde. So genau nahmen die es nicht. Von hier an hat eine
richtige Bummelei begonnen. Am schnellsten geht es vorwärts, wenn unser
Transportführer, ein Leutnant auf der Lok fährt.
So gelangten wir in Indra an, der lettisch-russischen Grenzstation. Da
wir auch hier ziemlich lange Aufenthalt hatten, statteten wir (ein
Kamerad und ich) einem lettischen Bauernhaus einen Besuch ab. Das 1
stöckige Häuschen mit Strohdach besitzt 3 Räume, einen großen, der
Küche, Wohnraum und Schlafraum für einen Teil der Familie ist. Dann
noch 2 kleine Zimmerchen im Ganzen so groß wie unser Abort. Wir sind
sehr freundlich empfangen worden und bekamen Käse und Butter, das
Haupternährungsmittel der Letten. Das war so ein welschen mit den
Leuten.
So reifte allmählich der von uns mit größter Spannung erwartete
Augenblick heran. Am 15.10.1941 16.00 überfuhren wir die
lettisch-russische Grenze. Die Russen haben der ganzen Grenze entlang
Drahtverhau angebracht. Dass es inzwischen sehr kalt geworden ist und
der Boden schon ein weißes Schneekleid angezogen hat, möchte ich auch
noch erwähnen. Unsere Lebensmittelvorräte sind durch die furchtbare
Bummelei ebenfalls so zusammenschrumpft, dass wir mit Wasser und Brot
uns glücklich fühlen. Es ist nämlich nur eine eingleisige Bahnlinie
vorhanden auf der sich der ungeheuer starke Verkehr abspielen muss. Die
wenigen kleinen Bahnhöfe sind mit Zügen angefüllt. Nun ist inzwischen
der 17. angebrochen. Wir stehen wieder auf einem Bahnhof und sehnen die
Weiterfahrt schon seit heute früh 5 Uhr, nun ist es 9.30. Inzwischen
haben wir die Stadt Polazk durchfahren, wurden dort durchs DRK
verpflegt und sind nun gestern Abend 20.00 bis heute früh 5 Uhr volle
25-30 km weiter gekommen.
Auf unserer Strecke von der russischen Grenze bis hierher sieht man
kaum etwas vom Kriege. Einige größere Häuser, die im Gegensatz zu den
andern aus Backstein gemauert waren, sind restlos zerstört. Man konnte
deutlich noch die Einschläge von Gewehrkugeln und PAK-Geschossen
erkennen. Dann sahen wir einzelne Waldstücke, die stark zerschossen
waren. Baumstümpfe ragen zum Himmel, Äste und Zweige liegen
durcheinander, usw. Vater weiß ja wie das aussieht. Auch hier konnten
wir feststellen, dass der Kampf nur stellenweise getobt hatte. Bewiesen
wurde dies uns durch die vereinzelnd vorhandenen deutschen
Heldengräber, von denen nur noch das Birkenholzkreuz und der
Stahlhelm sichtbar sind, während der andere Teil unterm Schnee liegt.
Dann hatte ich gestern Gelegenheit ein russisches Dorf zu durchqueren.
Schriftlich kann ich euch meine Eindrücke nicht schildern. Hütten aus
Holzlatten, dem Einbruch nahe, Fenster halbe Scheiben aus Glas, halbe
aus Pappe, Stroh- oder Schindeldächer, die eine gründliche Ausbildung
sehr notwendig hätten. Und erst im Innern. Ich war drinn in einem. Eine
Stube (den Kopf schlug ich beim Eintreten an den oberen Querbalken des
Türrahmens), eine furchtbare Luft, Aufenthaltsraum der ganzen Familie,
Schlafzimmer zugleich für einen Teil davon. Es wurde gerade darin
gewaschen. Zu meinem größten Erstaunen hing ein Lautsprecher drin. Nur
ein Lautsprecher, denn das Programm wurde auf einer „Zentrale“,
irgendwo im Dorf, oder noch von weiter her eingestellt. Die Leute
konnten, das schlossen wir daraus, nur ein von den russischen Behörden
gewolltes Programm hören. Jetzt spielte deutsche Musik gerade: „Das ist
der Tag des Herrn!“. Dann die Bevölkerung: die Männer oder Passanten
der Straßen schauen uns mit mürrisch, verstohlenen Blicken an. Die
Frauen in den Häusern waren sehr freundlich zu uns, lachten und
kauderwelschten mit uns, dass es eine wahre Freude war.
Nun muss ich meinen Brief wieder abbrechen und auf die Weiterfahrt
warten.
Am 17.10.1941 18.30 sind wir in den Bahnhof Witebsk eingefahren. Das
Bahnhofsgebäude ist ausgebrannt. Nun begann ein ¾ stündiger Marsch
durch die Stadt zur Verpflegungsstelle. Man kann eigentlich, so viel
wir bei der Dunkelheit feststellen konnten, nicht mehr von einer Stadt
sprechen. Auf 2/3 unseres Weges links und rechts der Straße lauter
ausgebrannte 2-3 oder gar 4-5 stöckige Häuser, nicht ein einziges
unversehrt. Auf dem letzten Drittel überwiegte dann die Zahl der
unversehrten Häuser. Teilweise roch es noch stark nach Brand. So was
muss man gesehen haben.
Am andern Abend dann in Smolensk. Genau dasselbe Bild. Furchtbare
Zerstörungen. Nun sind wir heute in Roslawl. Hier herrscht ein
kolossaler militärischer Betrieb. Hier wird Munition - und Post
abgeholt an die Front. Die Frontsammelstelle teilte uns mit, dass wir
nach Wjasma müssen, 250-300 km westl. Moskau. Hier bekommen wir seit 3
Tagen wieder warme Suppe und Brot. Heute, d.h. täglich kommen sie für
die Verwundeten zur weiteren Fahrt nach Deutschland. Auch ein
unendlicher Zug gefangener Russen marschierten vorbei. Zerlumpt,
heruntergekommen, junge und alte. Sie raufen sich um einen Bissen Brot
wie hungrige Aasgeier. So was solltet ihr mal sehen. Am 2. Oktober,
also vor 18 Tagen tobte hier noch ein heftiger Stellungskampf. Heute
ist die vordere Front 250-300 km entfernt. Nun geht es wieder zurück
nach Smolensk und dann endgültig zu unserer B36.
Ich habe euch nun ziemlich viel geschrieben. Hebt bitte diesen Brief
gut auf. Überhaupt alle, die ich euch vom Felde heimschreibe. Leider
muss ich noch warten bis die Feldpostnummer bekannt ist. Mein Messer
habe ich
auch schon verloren. Rauchwaren habe ich auch keine mehr. Sonst bin ich
ganz zufrieden. Ich habe mich aber sehr umstellen müssen. Seid nur
froh, dass Ihr daheim keinen Krieg habt. Hier herrscht nämlich große
Not und Elend.
Nun bin ich gespannt, was in Wjasma geboten ist.
So grüßt Euch alle sehr herzlich
Euer Kuno!
27.10.41!
Meine Lieben!
Ich bin nun heute endlich nach 17
stündiger Fahrt bei meiner Truppe eingetroffen, ganz mit Dreck
überzogen. Ihr macht Euch gar kein Bild, was für Straßenverhältnisse
hier herrschen. Unsere Fahrzeuge leisten Unglaubliches.
Wir haben Tage hinter uns, wo wir von früh 7 Uhr bis zur Dämmerung, so
etwa gegen 16.30, ganze 20-25 km zurücklegten. Die „Hauptstraßen“
führen teilweise durch Sumpfgebiete, die die Wagen bis beinahe an die
Achsen einsinken lassen. Dann stehen wir immer bis über die Knöchel im
Schlammassel, schieben und werden von den schleifenden Rädern gänzlich
vollgespritzt, dabei dann noch Regen und nasskalt peitschender Wind.
Wir liegen zurzeit in einem Bauernhaus. Mein erster Stubenältester
„wohnt“ auch hier. Von den „Alten“ sind wir sehr gut aufgenommen
worden.
Weiter habe ich Gelegenheit gehabt ein großes Stück auf einer
Hauptrückzugsstraße der Sowjets zurückzulegen. So was ist ganz toll.
Wie dieses Sowjetparadies in Wirklichkeit aussieht, kenne ich nun zur
Genüge. Seid froh, dass Ihr in Deutschland seid, denn dort ist es
goldig. Die Landbevölkerung lebt eben von Kartoffeln und Milch, oder
Wasser. Brot hat sie fast keines.
Wenn in nächster Zeit eine der bedeutendsten Sondermeldungen dieses
Feldzuges bekannt wird, so denkt dran, dass ich auch dabei war. Unsere
Verpflegung wäre gut, wenn sie in genügenden Mengen auch vorn gebraucht
werden könnte. 5 Mann bekommen täglich 1 Kommissbrot und 1 kleine
Büchse Fleisch. So schieben wir aber dauernd Kohldampf. Ebenso ist es
zurzeit mit dem Eintopf. Da eine Feldküche vorläufig ausgefallen ist,
müssen 2 Batterien durch 1 Küche gesättigt werden.
Herrenlose Pferde treiben sich hier zahlreich herum. Die Russen fangen
sie ein und kommen so auf ganz billige Art zu einem solchen.
Leider darf ich nun nicht mehr alles schreiben, was ich gerne möchte.
Ihr braucht Euch um mich auch keine Sorge machen, mir geht es gut.
So grüße ich Euch alle vielmals
Euer Kuno
NB: Hausschuhe könnte ich gut gebrauchen, dann Zigaretten
und Streichhölzer, und wenn es möglich ist, ein neues Taschenmesser.
Im Osten, 29.10.41
Meine Lieben!
Nun sind wir eingeteilt worden.
Auswerter konnte die Batterie gar keine brauchen. Diejenigen von uns,
die keine Brille tragen, kommen zu den Beobachtern (freiwillig). Wir 3
Brillenträger wurden nicht angenommen und sind nun der schweren Staffel
zugeteilt, deren Eintreffen wir täglich erwarten.
Ein Einsatz unserer Abteilung ist auch sehr in Frage gestellt, da ein
Vorwärtskommen auf der besten russischen Straße, der sogenannten
Rollbahn,
ganz unmöglich ist. Es ist dies die russische Autobahn, geteert, aber,
je weiter total zusammengeschossen. Der Nachschub für unsere vordersten
Linien kann nur durch unsere braven Ju 52 erfolgen, die täglich
ununterbrochen in nur einigen m Höhe über uns hinweg fliegen.
Hoffentlich wird es bald kälter, damit es gefriert. Außer Vater könnt
Ihr Euch bestimmt kein Bild machen über hiesige Straßenverhältnisse.
Wir sind hier zu 14 in einem russischen Bauernhaus. Meine Arme sind von
Wanzen zerstochen. Selbstverständlich hat jeder Läuse. Morgens nach dem
Aufstehen wird immer das Hemd nach solchem lästigen Ungeziefer
durchsucht. Um 7 Uhr stehen wir auf. Ab 9 Uhr ist Arbeitsdienst, und
zwar wir Neuen: Kartoffelschälen. 12-14.00 Mittagspause. 14-16.00
wieder
Arbeitsdienst. Heute haben wir Kartoffel geerntet, von denen noch ganze
Felder voll stehen, zum Teil schon unter gefrorener Erde. Ab 16 Uhr ist
Dienstschluss, da es ja gegen 16.20 schon Nacht wird. Gegen 19 Uhr legt
sich die Bäuerin mit ihren 6 Kindern ins Bett. Eins davon liegt noch in
der Wiege. Es ist dies eine 4-eckige Kiste, die an einer Feder an der
Decke hängt und mittels einer Schlaufe, in die der Fuß gestellt wird,
fast den ganzen Tag auf und ab gezogen wird. Dann sind 2 Betten
vorhanden. In jedem liegen 3 Personen, aber mit voller Bekleidung. Alle
essen ihre Mahlzeit aus einem schmutzigen Napf und die Mutter stillt
nebenher ihren Säugling. Tolles Familienleben.
Heute wurde mir meine
schmutzige Wasch gewaschen. Gebügelt wird sie folgendermaßen: das
betreffende Stück wird um ein rundes Holz gerollt und auf die Bank
gelegt. Das ganze wird dann mit einem heißen, flachen Holzstück, in das
lauter Querrinnen eingeschnitten sind, gerollt bis das Wäschestück
glatt ist.
Etwas ganz schönes ist ein Radio, das ein Kamerad bei sich
hat, denn dadurch sind wir immer mit der Heimat verbunden. Ich mag
sehen, wie lange eigentlich die Post dauert, und freue mich auf den
ersten Brief von Euch. Was gibt’s Neues in Hermaringen? Könntet ihr mir
vielleicht einmal Zwieback oder so was ähnliches schicken? Das würde
mich sehr freuen. Dann, aber nur wenn möglich, Zigaretten und
Streichhölzer, denn rauchen vertreibt den Hunger ein wenig. Durch diese
Wünsche möchte ich aber durchaus nicht anspruchsvoll an Euch
herantreten. Nun habe ich genau seit 12. Oktober nicht mehr in meinen
Geldbeutel gegriffen und trotzdem gelebt. Gell, wenn dasselbe nur auch
bei Euch der Fall wäre.
So möchte ich für heute wieder
schließen und Euch alle recht herzlich grüßen.
Euer Kuno
NB: Ihr hebt doch alle Briefe auf, die ich Euch aus dem Felde schreibe?
Denn später ist es schön, wenn man darin wieder über alte Erlebnisse
nachlesen kann.
10.12.41
Meine Lieben!
Am gestrigen Tage habt Ihr mir
eine große Freude bereitet. Ich bekam das erste Päckchen, d.h. das
zweite, das Ihr abgeschickt habt. Euer erstes ist jedenfalls noch
unterwegs. Ihr glaubt kaum, wie wertvoll der Inhalt für mich war.
Gleichzeitig erhielt ich eines von Frau Makkens. Ich war ganz platt,
denn daran hätte ich nie gedacht, da ich ihr ja noch nie geschrieben
habe.
In der Zwischenzeit habt Ihr wohl auch meinen zweiten und die meisten
aller anderen Briefe erhalten.
Z. Zt. haben wir starken Schneefall, der die Operationen wesentlich
beeinträchtigt. Die Temperatur ist wieder etwas zurückgegangen.
Nun zur allgemeinen Lage: am 7.11. sind wir zum Einsatz abgefahren und
haben dann unter anderem auch in Borodino übernachtet. Dieser Ort ist
ja bekannt vom Feldzuge Napoleons her. Dann ging’s durch Moschaisk und
Rusa der vorderen Linie entgegen. Nun wurden wir der SS zugeteilt. Am
17.11. begann dann mein erster Einsatz. Dorf um Dorf machten wir
vorwärts, teilweise unter Einsatz neuartiger Waffen. Anfangs ging es
ganz gut. Aber je weiter es vorging, desto zäher und heftiger wurde der
Widerstand der Russen. Dazu kam dann in den letzten Tagen noch die
grimmige Kälte, wo wir teilweise -30° hatten.
Seit 3 Tagen ruht nun der
Angriff, da die Witterung nichts anderes übrig lässt. Die vordere Linie
wurde um mehrere km zurückverlegt. Somit wird nun begonnen, die
Verteidigungsstellung für diesen Winter auszubauen und festzulegen.
Auch wir sind seit gestern damit beschäftigt, unser Winterquartier
aufzuschlagen und einzurichten. Ich glaube, dass wir es schon vollends
so weit bringen, dass wir den Winter über gut untergebracht sind.
Die SS-Division, mit der wir eingesetzt waren, ist abgelöst worden. Es
war auch höchste Zeit. Sie hatte nur Kompagnien mit 9, 20, 25 usw. Mann
und umfasst heute noch die Stärke zweier Bataillone!!!
Uns ging es wie immer. Wir sind der ablösenden Truppe zugeteilt worden.
Zu Beginn dieses Feldzuges war unsere Abteilung einer Division
zugeteilt, die heute schon wieder daheim ist. So ist mit uns
wahrscheinlich mit einem Heimkommen in diesem Winter nicht zu rechnen.
Glaubt mir, ich weiß jetzt was Krieg ist. Ich habe ihn 4 Wochen lang in
seiner tatsächlichen Wirklichkeit erlebt und werde es diesen Winter
über nicht zu vergessen bekommen. Dazu kommt dann noch grimmige Kälte
und sehr häufig eisig pfeifender Wind.
Gegen 15 Uhr beginnt es hier jetzt schon zu dämmern und um 6.30 fängt
der Tag an zu grauen. Alle zwei bis drei Tage habe ich Wache. Dazu
stehen uns Übermäntel zur Verfügung, was ganz prima wärmt. Manchmal
meinte ich schon, die Kälte würde mir die Nase aus dem Gesicht ziehen.
Drei Mann unserer Batterie haben bereits die ersten Erfrierungen
davongetragen. Eine sehr, sehr schwierige Sache ist bei dieser
Witterung
die Betriebserhaltung unserer Fahrzeuge.
Zu einem richtigen Schlaf bin ich schon lange nicht mehr gekommen. Habe
ich Wache, so schlafe ich höchstens 4 Stunden. Habe ich keine, so
lassen mich die Läuse nicht schlafen, die uns sehr stark belästigen. In
den letzten 3 Tagen habe ich 40–50 getötet. Morgens und abends wird das
Hemd auf beiden Seiten abgesucht. Es ist was Furchtbares. Der ganze
Körper juckt halt dauernd.
Lieber Vater!
Schon sehr oft habe ich dran gedacht, was Du nicht hier in Russland
mitgemacht hast. Sei es Kälte, Läuse oder Krieg, das gleiche mache ich
heute auch mit; allerdings mit dem einen Unterschied, dass ich es
vielleicht noch etwas besser habe, obwohl ich mir’s schlechter nicht
vorstellen könnte.
Ganz überraschend kam für uns der Eintritt Japans und Amerikas in
diesen Krieg. Für uns wirkt sich ersteres bestimmt gut aus; bindet
Japan doch dadurch einen großen Teil von Englands Flotte.
Damit Ihr nun ebenfalls eine Kontrolle über meine Briefe habt, habe ich
heute damit begonnen, sie zu nummerieren.
Seid nun zum Schluss alle recht
herzlich gegrüßt von
Eurem Kuno
Mein Briefpapier geht sehr bald zur Neige. Könnt Ihr mir welches
schicken, auch Feldpostkarten und Feldpostbriefe.
28.12.41
Liebe Eltern und Geschwister!
Kann Euch heute nach einigen
Tagen wieder schreiben. Was sich in unserem Frontabschnitt zugetragen
hat und was wirklich los ist, habt Ihr wohl durch den Wehrmachtsbericht
erfahren.
Am 15.Dezember wurde die gesamte Front zurückgenommen. Das
waren für mich meine härtesten Tage in Russland. Fahrzeug um Fahrzeug
rollte rückwärts. Die Mehrzahl der Unsrigen sind auf der Strecke
geblieben und mussten gesprengt werden. So sitze ich nun hier in einer
Schule mit ungefähr 2/3 der Batterie. Mein ganzes Gepäck was ich hatte,
liegt irgendwo auf einem Wagen, der auf seine Abschleppung wartet. So
habe ich nur meinen Mantel, Koppel und Brotbeutel bei mir, und noch
eine ausgeliehene Decke. Ob und wann ich zu meinen Sachen wiederkomme,
weiß ich nicht.
Kalte, schlaflose Nächte liegen hinter uns. Zu essen bekamen wir kaum,
da unsere Batterie auf den ersten 10 km völlig auseinanderkam. Niemand
wusste Bescheid über die Lage. Einmal war ich sogar bei den
allerletzten deutschen Truppen, die ein Dorf verließen. Das war so ein
Augenblick. Man weiß, die Russen rücken immer näher heran und wir
müssen warten und warten bis das Fahrzeug repariert wird.
Bei unserem
letzten Einsatz erlebte ich ebenfalls einen kritischen Tag. Abends 5.00
Uhr muss ich nach einer Fernsprechleitung schauen, die gestört war.
Durch knietiefen Schnee stapfte ich der Leitung entlang. Wie es nun
kam, weiß ich nicht. Auf einmal habe ich die Leitung mit einer anderen
verwechselt und gelangte bei einem Ari-Beob.-Stand an. Auf dem Rückweg
überraschte mich heftiges feindliches Artilleriefeuer. Eine
Viertelstunde lang lag ich auf dem Bauch im Schnee, als eine Feuerpause
eintrat. Sofort watete ich weiter und erreichte eine Feuerstellung
unserer Ari. Da begann der Zauber von neuem. Nach einer Stunde
Aufenthalt im Bunker konnte ich endlich weiter und erreichte am späten
Abend unsere Unterkunft. Dort erfuhr ich, dass die Russen angreifen und
wir sofort zurück müssen. Leicht hätte es sein können, dass ich den
Russen direkt in die Hände gelaufen wäre.
Und heute geht es um Sein oder Nichtsein unserer B36. Wenn wir bis 31.
des Monats nicht einsatzfähig sind, werden wir aufgelöst und kommen zur
Infanterie. Nun, einsatzfähig sind wir, nur nicht in der Stärke wie
normal. So wurden nun die Trupps neu zusammengestellt. Der übrige Teil
wird der Infanterie zugeteilt. Dabei bin auch ich. Unsere Aufgabe ist
folgende: wir müssen die jetzige Hauptkampflinie halten, so lange bis
die inzwischen eingetroffene Infanterie weiter zurück die endgültige
Winterverteidigungslinie verteidigungsfähig ausgebaut hat. Das wird bis
Ende Januar dauern. Nach diesem Einsatz wird dann die Front nochmals
zurückgenommen und wir kommen ziemlich weit zurück in Ruhe.
Meine
Lieben! Schwere Tage stehen mir bevor. Bis jetzt habe ich immer Glück
gehabt und so hoffe ich, dass ich auch diesen ganz andersartigen
Einsatz vollends gut überstehe. Wenn ich Euch länger Zeit nicht mehr
schreiben kann, so habe ich eben keine Zeit dazu. Sorgt aber bitte
nicht um mich.
Manche unserer Batterie haben sich auf diese Nachricht hin krank
gemeldet mit allerhand verschiedenen Beschwerden. Ich hätte auch Grund
dazu gehabt, denn meine Füße sind leicht erfroren. In keinen Zehen habe
ich mehr Gefühl. Aber das machte ich nicht, denn erstens will ich nicht
als Drückeberger angesehen werden, und zweitens wird jeder entbehrliche
Mann gebraucht; und in erster Linie kommt der Erfolg unserer lieben
Heimat, dann erst der Mann selbst. Mit diesem Grundsatz gehe ich den
kommenden Tagen entgegen.
An meinem Geburtstage hatte ich Wache an einem im Schnee
steckengebliebenen Wagen. 15° bis 20° Kälte, Schneesturm und
Übernachten im Fahrzeug. Das genügte. Der Heilige Abend kam. Wiederum
Wache. Das einzig Schöne an diesem Tage war die Post, die ankam. Ich
erhielt Euer erstes abgeschicktes Päckchen. Herrlich mundete mir der
Inhalt.
Am ersten Weihnachtsfeiertag war Arbeitsdienst, ebenfalls am zweiten.
In den letzten beiden Tagen haben wir einen 3 km langen Weg von der 50
cm tiefen Schneedecke befreit um unsere Wagen hier wegzubekommen.
Heute kam wiederum Post. Ich erhielt vier Päckchen und einen Brief von
Gretel. Drei Päckchen von Euch und eines von Familie Guther.
Bedankt Euch bitte bei diesen Leuten, auch bei Bäcker Thumm und Frau
Mackens für das Päckchen. Sobald ich Zeit habe, werde ich es selbst
tun. Wie herrlich schmeckt mir das prima Backwerk immer. Seit neuem
erhalte ich auch den Brenztalboten. Das ist auch sehr schön.
Wir haben wirklich 50 bis 60 cm tiefen Schnee bei -20° - 25°. Ein
Drittel der Batterie ist krank. Fast die ganze hat Durchfall. Mit
Ausnahme meiner Füße bin ich bis jetzt von Erkältung, Husten usw. Gott
sei Dank verschont geblieben. Zum Schlusse gedenke ich des kommenden
Jahres. Ich wünsche Euch allen alles Gute, viel Glück und Gesundheit
und ein glückliches Weihnachten.
Viele herzliche Grüße sendet Euch
Euer Kuno